Höchste Zeit, dass Europa endlich erwachsen und aktiv wird

Wehe, die EU zerbricht an den jetzigen mannigfachen Herausforderungen. Die Alternative wäre Europas Umwandlung in den größten Disney-World-Freizeitpark.

Im arabischen Raum brechen immer mehr staatliche Systeme zusammen; Despotismus, Ausbeutung und Krieg beherrschen Afrika weiter; gleichzeitig ziehen sich die USA als Weltpolizist immer mehr zurück. Umso dringlicher wäre, dass Europa erwachsen wird und die Initiative ergreift. Denn die Alternative ist: Wiedereröffnung Europas als größter Disney-World-Freizeitpark der Welt.

Ihr liebstes Hobby war für die Europäer ja viele Jahre lang: von einer vermeintlich höheren moralischen Position aus über andere, am liebsten aber über die USA, zu richten und die Nase zu rümpfen. Meterhohe Zäune entlang der Südgrenze zu Mexiko gegen die Immigrationsströme aus Mittel- und Südamerika errichten – igitt! Australien fängt seit Jahren Flüchtlingsschiffe auf hoher See ab und lässt die Passagiere auf pazifische Inseln bringen, damit sie nicht in Australien um Asyl ansuchen können. Die Empörung darüber war groß – vor allem in Europa.

Doch die Zeiten haben sich geändert. Die Zahl der gescheiterten Staaten im Nahen Osten – mit Kriegen und daraus resultierenden Fluchtbewegungen, wird noch anwachsen. Sind es jetzt schon Syrien, der Irak, Afghanistan, der Jemen und Libyen, ist zu befürchten, dass weitere Staaten scheitern könnten: der Libanon, Jordanien, Saudiarabien, die Golf-Emirate oder Ägypten sind fürwahr keine Horte der Stabilität. Die Tatsache, dass einigen dieser Staaten angesichts der niedrigen Erdölpreise inzwischen auch die einzige Einnahmequelle zu vertrocknen droht, lässt Schlimmes befürchten.

Doch, oh Schreck, wieso kümmert sich niemand um diese Probleme? Da hat es doch immer jemanden gegeben, der in die Bresche sprang und die Funktion des Weltpolizisten übernahm. Wo aber sind heute die USA, die ordnend eingreifen, sich dabei die Hände schmutzig machen, um danach von Europa kritisiert zu werden? Auch diese Zeiten haben sich geändert. Die USA verlieren zunehmend ihr diesbezügliches Interesse. Das wird sich auch unter dem nächsten US-Präsidenten oder der Präsidentin nicht ändern. „Bist du wirklich der Meinung, dass Europa auch militärisch eingreifen sollte?“, wurde ich unlängst kritisch und mit einem Anflug von Empörung gefragt.

Was für eine Frage? Gerade bereitet Frankreich eine militärische Intervention in Libyen vor. Schon jetzt ist davon die Rede, dass ein solches Eingreifen ohne Bodentruppen im Ausmaß von Zehntausenden Soldaten nicht erfolgreich sein könne. Frankreich ist aber schon im Irak, in Syrien und einigen afrikanischen Staaten militärisch engagiert und am Rande seiner militärischen Kapazitäten.

Es werden also andere europäische Staaten, nicht zuletzt auch Deutschland und Österreich, wenn schon nicht in Libyen, so doch zumindest subsidiär in anderen Krisengebieten eingreifen müssen, um Frankreich zu entlasten.

Doch auch an den Außengrenzen werden sich die Europäer zunehmend die Hände schmutzig machen müssen. Das bedeutet: überfüllte Schlauchboote mit Flüchtlingen im Mittelmeer abfangen und wieder in die Türkei oder in die nordafrikanischen Länder zurückbringen; die Außengrenzen der EU mit hohen Zäunen und sonstigen Sicherungsmaßnahmen befestigen.

Flüchtlinge, denen kein Asylstatus zugesprochen wird, werden in ihre Heimat zurückgebracht werden müssen. Alle diese Aktionen werden Bilder schaffen, mit denen die Europäer bisher so gar nicht gern in Verbindung gebracht werden wollten.

Die Alternative? Die EU zerbricht an dieser Herausforderung. Die europäischen Länder schotten sich innerhalb ihrer eigenen Landesgrenzen ab und verabschieden sich von der politischen und wirtschaftlichen Weltbühne. Dann ließe sich zum Beispiel Österreich vortrefflich in den größten Disney-Freizeitpark der Welt eingliedern, an dessen Grenzen Eintrittsgeld bezahlt wird, damit Besucher von anderen Kontinenten die Attraktionen des Landes besichtigen und uns – bekleidet in schönen lokalen Trachten – bestaunen und fotografieren können.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Mag. Martin Engelberg ist Psychoanalytiker, geschäftsführender Gesellschafter der Vienna Consulting Group, Lehrbeauftragter an der Wirtschaftsuniversität Wien und Herausgeber des jüdischen Magazins „NU“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2016)

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