„Dafür tragen wir Verantwortung“: Eine – leider – nicht gehaltene Rede

APA/ROBERT JAEGER
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Angesichts des vernichtenden Votums der Wählerschaft in Österreich geben der Bundeskanzler und der Vizekanzler folgende gemeinsame Erklärung ab:

Liebe Österreicherinnen und Österreicher!
Wir sind zu der Erkenntnis gekommen, dass es Zeit ist, Ihnen reinen Wein einzuschenken: Österreich ist politisch und wirtschaftlich in eine gefährliche Schieflage geraten. Dafür tragen wir die Verantwortung, weil wir diese Entwicklung zum Teil verursacht haben. Weiters haben wir die Situation oft fast schon grotesk beschönigt und dringend notwendige Sanierungsschritte fahrlässig unterlassen. Deshalb übergeben wir beide mit sofortiger Wirkung unsere Ämter an zwei jüngere Persönlichkeiten, die folgende Maßnahmen durchführen werden:

► Erstens: Die Höhe der Steuern und Abgaben in Österreich wird drastisch reduziert. Wir bürden Ihnen und der Wirtschaft derzeit eine Quote von rund 42 Prozent auf und liegen damit weit über dem Durchschnitt der OECD-Länder. Wir werden diese Belastungen auf 30 Prozent senken, dann zahlen sich Leistung und Steuerehrlichkeit wieder aus. Damit werden wir das Abgabenniveau der Schweiz erreichen und jenes von Deutschland unterschreiten. Als Ausgleich dafür sind zahlreiche Maßnahmen nötig: Wir werden den Dschungel an Förderungen weitgehend abschaffen. Wir legen ein eindeutiges Bekenntnis dazu ab, uns nicht mehr wie vormoderne Feudalfürsten zu gerieren: Ihnen das Geld abzuknöpfen und dann gönnerhaft an jene zu verteilen, die willfährig und unser System am besten auszunutzen imstande sind.

► Zweitens: Die überwuchernde Bürokratie sowie die teilweise überflüssigen und sich überschneidenden Verwaltungsapparate werden radikal zurückgefahren. Sie müssen ab sofort laufend ihre Sinnhaftigkeit und Wirtschaftlichkeit beweisen und sich in Zukunft als Serviceleitung für die Bürgerinnen und Bürger verstehen. Alle neuen Gesetze und Verordnungen werden einer strengen externen Prüfung unterzogen, deren Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit müssen vorab eindeutig nachgewiesen werden. Weiters werden alle neuen gesetzlichen Maßnahmen mit einer Laufzeit von maximal fünf Jahren versehen. Danach müssen sie nach einer erneuten Prüfung entweder verlängert werden, oder aber sie laufen ersatzlos aus. Ein unabhängiges Expertengremium wird darüber hinaus alle bereits bestehenden Gesetze und Verordnungen durchforsten. Dabei soll im Sinne der Schaffung größtmöglicher Freiheit für arbeitende Menschen und Unternehmer vorgegangen werden.

► Drittens: Wir müssen eine grundlegende Reform unseres Sozialstaates durchführen. Zu lang haben wir Ihnen vorgegaukelt, wir könnten Ihnen allen Wohlstand und Glück garantieren, wenn Sie uns nur immer brav wählten. Wir müssen Ihnen jetzt die Wahrheit sagen: Ab sofort können wir mit den bei Ihnen eingehobenen Geldern nur mehr jene unterstützen, die es unbedingt benötigen. Das Leben vom Sozialstaat wird künftig nicht mehr möglich sein.
Die Annahme eines Arbeitsplatzes ist höchstes Gebot. Es werden auch alle länger im Arbeitsprozess bleiben, und über den Pensionsantritt wird flexibel und geregelt durch Zu- und Abschläge entschieden. Künftig ist ein großes Ausmaß an Selbstverantwortung nötig. Wir können nur alle dafür nötigen Rahmenbedingungen schaffen.

► Viertens: Einen wichtigen Teil der von Ihnen bezahlten Steuern werden wir für eine grundlegende Verbesserung der Bildung Ihrer Kinder verwenden. Zur Sicherstellung der Qualität müssen sich staatliche Bildungseinrichtungen in Zukunft der privaten Konkurrenz stellen. Es bleibt aber weiterhin auch Ihre Aufgabe, sich persönlich für die Entwicklung und Ausbildung Ihrer Kinder einzusetzen. Nur mit vereinten Kräften werden wir es schaffen, dass unsere Kinder im globalen Wettbewerb mithalten können.
Epilog: Dass der Bundeskanzler und Vizekanzler je eine solche Rede halten werden, ist natürlich ein unerfüllt bleibender Traum. Deshalb wird Norbert Hofer in vier Wochen zum nächsten Bundespräsidenten gewählt werden.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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