Spannende Zeiten: Österreich vor dramatischen Umwälzungen

Norbert Hofer wird die Stichwahl am 22. Mai wohl gewinnen, der Aufschrei in den internationalen Medien wird groß sein. Aber da müssen wir durch.

Das Echo auf mein letztes „Quergeschrieben“ (26. April) war gewaltig: Die nicht gehaltene Rücktrittsrede von Bundeskanzler und Vizekanzler und die Reformvorschläge für Österreich wurden über 4500 Mal auf Facebook geteilt und erreichten so etwa 1,5 Millionen Menschen. Ein Volltreffer also.

Das klare und eigentlich für jedermann erkennbare Fazit ist: Die Menschen in Österreich sehnen sich nach den in der Kolumne beschriebenen Veränderungen, trauen diese den regierenden Politikern aber nicht zu. Diese Tatsache wird in naher Zukunft zu dramatischen Umwälzungen in Österreich führen. So wird Norbert Hofer bei der Stichwahl am 22. Mai mit deutlicher Mehrheit zum nächsten Bundespräsidenten gewählt werden. Nicht wegen, sondern trotz seiner rechten und merkwürdig deutschtümelnden Gesinnung.

Es geht aber nicht um einen Rechtsruck oder gar um eine Wiederkehr der Politik der 1930er-Jahre. Das ist Quatsch – und diejenigen, die diese Hysterisierung vorantreiben, erzielen genau den gegenteiligen Effekt. Sie sind schuld daran, dass die Sensibilität der Menschen gegenüber solchem Alarmgeschrei stetig abnimmt. Dabei ist zu vermuten, dass Hofer der Mehrheit der Wähler ebenso suspekt ist wie Alexander Van der Bellen. Aber Hofer steht für Veränderung, für ein Aufbrechen verkrusteter Strukturen. Er wird daher gewinnen.

Natürlich wird der Aufschrei in den internationalen Medien groß sein. Die Nachricht, dass ein als Populist, Rechtsextremer oder gar Neonazi Bezeichneter von einer großen Mehrheit der Österreicher zum neuen Bundespräsidenten gewählt wurde, wird jedem Medium auf der Welt eine Schlagzeile wert sein. Aber da müssen wir durch.

Für Österreich wird es zweierlei bedeuten: Erstens wird Norbert Hofer nicht den großen Radikalen geben, ganz im Gegenteil. Er wird alles tun, um sich als besonnener, volksnaher Präsident die Wiederwahl in sechs Jahren zu sichern. Zweitens bahnt sich ein einigermaßen schweres politisches Erdbeben mit noch unabsehbarem Ende an. Beim Verfassen dieses Kommentars war noch nicht klar, wer die Nachfolge von Werner Faymann als Kanzler und SPÖ-Vorsitzender antreten würde. Schließlich befinden sich die Sozialdemokraten derzeit in einer traurigen und orientierungslosen Verfassung. Mit einem neuen Vorsitzenden vom Schlage eines Christian Kern aber hätte die SPÖ wohl noch eine letzte Chance, sich neu zu erfinden. Sonst scheint ihr Schicksal besiegelt, und die SPÖ würde bei nächster Gelegenheit für lange Zeit auf die harte Oppositionsbank verbannt werden.

Was vor Kurzem noch wie ein Wunschtraum aussah, könnte nun Realität werden: Mit dem modernen, auch unternehmerisch erfahrenen ÖBB-Chef Kern an der Spitze von SPÖ und Regierung käme auch die ÖVP unter Zugzwang. Will sie nicht plötzlich ganz alt aussehen, wird sie ihren Vizekanzler Reinhold Mitterlehner durch das politische Talent Sebastian Kurz ersetzen müssen. Kern und Kurz könnten dann relativ unbelastet eine umfangreiche Reformagenda für Österreich präsentieren.

Eine solche Reformagenda sollte beinhalten: dramatische Verschlankung der staatlichen Strukturen, Stopp der Flut an neuen Gesetzen und Verordnungen, deutliche Reduzierung der Steuer- und Abgabenlast, grundlegende Reform des Sozialstaates samt dem Pensionssystem und nicht zuletzt hohe Investitionen in und eine umfassende Umstrukturierung des Bildungssystems.

Der Zeitpunkt wäre günstig, um mit so einer geradezu historischen Reformagenda auch die Widerstände der verschiedenen Interessenvertretungen innerhalb und außerhalb der Parteien zu überwinden. Christian Kern und Sebastian Kurz wären dazu in der Lage, wieder für eine Aufbruchsstimmung in Österreich zu sorgen. Bis zur nächsten Nationalratswahl 2018 könnten sie die Umkehr schaffen und die FPÖ ihrerseits alt aussehen lassen. Es kommen jedenfalls spannende Zeiten auf die österreichischen Innenpolitik-Junkies zu.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Mag. Martin Engelberg ist Psychoanalytiker, geschäftsführender Gesellschafter der Vienna Consulting Group, Lehrbeauftragter an der Wirtschaftsuniversität Wien und Herausgeber des jüdischen Magazins „NU“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2016)

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