Fortschritt muss „E-“ nicht bedeuten

Ein Appell gegen das E-Voting.

Die Österreichische Hochschülerschaft will es anbieten. E-Voting, die Möglichkeit, zu Hause vom eigenen Computer aus via Internet seine Stimme für eine der wahlwerbenden Gruppen abzugeben. Da einerseits die notorisch geringe Wahlbeteiligung der Standesvertretung der Studentinnen und Studenten praktisch jede Legitimation entzieht, andererseits der Wandel der Universität von einem Ort freien Denkens zu einer verschulten Trainingsstätte, die man möglichst rasch absolvieren möchte, um ihr dann entfliehen zu können, im Zeitgeist liegt, ist die politische Relevanz der Hochschülerschaftswahlen marginal. Da bleibt es auch unerheblich, ob die wenigen, die an ihrer studentischen Vertretung interessiert sind, sich zur Wahlzelle bemühen oder bequem daheim mit dem Finger auf eine Taste drücken.

Anders aber wäre es, würde man zum Beispiel bei der nächsten Nationalratswahl die Möglichkeit des E-Votings – man kann dafür genauso gut „der elektronischen Wahl“ sagen – schaffen. Damit ist nicht gemeint, dass man Wahlzellen mit elektronischen Wählmaschinen ausstattet. Selbst das ist nicht unumstritten. Sondern es geht, wie oben angedeutet, um die Wahl über den Computer im trauten Heim. Technisch ließe sich dies sicher einrichten. Aber ich halte es für alles andere als wünschenswert.

Das naheliegende Gegenargument lautet, dass mit der elektronischen Wahl nicht sichergestellt wäre, dass diese unbeeinflusst von der Umgebung erfolgt. Ob nicht die Verwandten oder Mitbewohner argwöhnisch beim Wahlvorgang über die Schulter blinzeln. Nun könnte man dem entgegenhalten, dass auch bei der Briefwahl diese Gefahr des Missbrauchs besteht. Doch ist zu bedenken, dass mit der Zulassung der elektronischen Wahl die Zahl derer, die sich dieser so bequemen Möglichkeit bedienen würden, erheblich größer wäre als die relativ kleine Zahl der Briefwähler.

Viel gewichtiger als das genannte Gegenargument scheint mir aber zu sein, dass mit der Zulassung der elektronischen Wahl das Bewusstsein darüber, welche Verantwortung man beim Wählen auf sich nimmt, zu schwinden droht. Ein Mausklick zwischen dem Sich-Verirren in Googles Dschungel und der schnoddrigen Beichte von Lappalien im Facebook ist schnell erledigt. Und das vorbereitende Ausfüllen persönlicher Daten kennt man schon von so vielen Internetbestellungen, dass es einfach nur lästig ist. Die traditionelle Wahl hingegen erfordert eine besondere Art von Aufmerksamkeit: Die Dokumente und die Brille wollen vorbereitet sein, man muss sich Zeit für den Spaziergang zum und vom Wahllokal nehmen, man sieht sich einer Wahlbehörde gegenüber, die nach außen hin staatstragend auftritt, und man stellt sich während der wenigen Sekunden Einsamkeit in der Wahlzelle der demokratischen Pflicht. Dies ist, wenn man so will, eine kleine Zeremonie. So unpathetisch und banal sie auch sein mag, aufgeben sollte man sie nicht. Denn es wäre schlimm, würde man bei einer Wahl vergessen, dass sie entscheidende Weichen für die Zukunft stellt.

Rudolf Taschner ist Mathematiker und Betreiber des math.space im Wiener Museumsquartier.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.03.2009)

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