Beendet Bologna! Nicht Einheitlichkeit, sondern Vielfalt präge die Universität!

Nur bei Studien, deren Nutzen manifest ist, soll sich der Staat um Vergleichbarkeit bemühen und in die Gestaltung eingreifen. Sonst aber sollte er volle Freiheit walten lassen.

Sagen wir es ohne Umschweife: „Bologna“, jenes nach der Geburtsstadt der europäischen Universität benannte ehrgeizige Projekt zur Schaffung eines einheitlichen Hochschulraums auf dem Kontinent, hat die in es gesetzten Erwartungen rundum nicht erfüllt: Der Aufschwung zur Elite ist ferner denn je. Die Mobilität der Studenten blieb weit hinter den Erwartungen zurück.

Das Studium wurde vom Streben nach Bildung zum in unzähligen Prüfungen bescheinigten Erwerb von Kompetenzen verfremdet. Vor allem: Die Zahl gedruckter Exposés ist Legion. Aber kaum jemand liest sie, kann man von den meisten doch nur erwarten, dass pfiffig abgeschrieben und zitiert wurde.

(Ein kluger Rat für jene, die sich ihre Dissertation bei einem „Ghost“ bestellen und sie erst bei einer unerwarteten Kontrolle zum ersten Mal lesen – und treuherzig behaupten, die Arbeit auf mehreren Dutzend Datenträgern verteilt zu haben. Am besten sagt man: „Ich wusste offensichtlich später auch nicht mehr, an welchem Text ich selbst bereits gearbeitet hatte, welcher Text mein eigener und welcher möglicherweise ein Fremdtext war, insbesondere beim Zusammenfügen dieser Bruchstücke.“)

Vor Jahrzehnten war man ehrlicher: Man vergab Doktorate in den Rechtswissenschaften und in der Medizin, ohne eine Dissertation zu verlangen. Das Studium war anspruchsvoll genug, um den Doktortitel rechtfertigen zu können. Vor allem war es für die Gesellschaft wichtig zu wissen, dass die mit dem Dr. iur. oder Dr. med. benannten Personen in der Tat nach allen Regeln ihrer Wissenschaft umfassend ausgebildete Juristen oder Mediziner sind.

Dies führt zu einem ganz anderen Bild, als es „Bologna“ vorschwebt: dass die Universität, auf ihrer Tradition ruhend, für Gegenwart und Zukunft wegweisend wirkt.

Für die Gegenwart: Darunter fallen die Studien, bei denen der unmittelbare Nutzen manifest ist: jene klassischen der Medizin und Jurisprudenz, dazu die Technik, die Ökonomie, die Lehramtsstudien und einige weitere wie Bodenkultur oder Veterinärwesen. Fraglos hat hier der Staat vitales Interesse und daher – unabhängig von „Bologna“ – sowohl Eingriffsrecht als auch Gestaltungspflicht, dass eine gediegene und forschungsgeleitete Lehre erfolgt; wobei in der Medizin neben Forschung und Lehre noch die Betreuung von Patienten als dritte Säule hinzutritt. Dass in diesem Zusammenhang im aktuellen Fall des AKHs Wien um eine verhältnismäßig geringe Summe von neun Millionen Euro bis zu einem Streik hin gerungen wird, zeigt das Ungleichgewicht in der Wertschätzung der Disziplinen.

Für die Zukunft: Studien, bei denen die Anwendbarkeit der Ergebnisse nicht zentral ist, sind in ihrer Lehre und Forschung völlig frei – Bevormundung à la „Bologna“ ist hinderlich. Nicht der einheitliche, sondern der vielfältig gestaltete Hochschulraum müsste das Ziel sein: In Wien wird Altphilologie anders gelehrt als in Berlin, die Philosophie in Graz setzt andere Schwerpunkte als in Bologna – nur so wird Mobilität attraktiv.

Allerdings dürfen diese „reinen“ Disziplinen vom Staat bloß eine Basisfinanzierung erwarten, deren Höhe davon abhängt, wie sehr die Gesellschaft das jeweilige Fach schätzt. Worauf es dabei ankommt, ist es, den Gehalt der Disziplin öffentlich bündig darzulegen.


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Zum Autor:

Rudolf Taschner
ist Mathematiker und Betreiber des math.space im
quartier 21, Museumsquartier Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2012)

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