Wenn Physik-Laien Energie und Kraft durcheinanderbringen

Nicht Energie zu gewinnen – das gelingt eigentlich gar nicht –, sondern Energie klug umzusetzen, wird zentrales Thema der Zukunft sein. Umso wichtiger ist es, Wissen darüber zu erwerben.

Kaum ein Begriff der Physik wird öfter in der politischen Diskussion genannt als jener der Energie. Und kaum ein Begriff der Physik ist für Laien geheimnisvoller als jener der Energie. Ich kann mich noch gut erinnern, wie verzweifelt sich Peter Hertel, bei dem ich als Student Vorlesungen über Theoretische Physik hörte, über den Kommentar eines renommierten Fernsehjournalisten äußerte, weil dieser ständig die Begriffe „Kraft“ und „Energie“ gleichsetzte.

Bis heute hat sich wenig daran geändert: Neulich sprach der österreichische Umweltminister von „Energiegewinnung“ – ein allzu betörendes Wort. Denn wenn wir über Energie etwas sicher wissen, dann, dass Energie nicht „gewonnen“ werden kann. Sie ist eine Erhaltungsgröße: In einem isolierten System kann sie weder zunehmen noch verloren gehen, allein von der einen Form in die andere umgesetzt werden.

Newton gründete seine Physik nicht auf den Begriff der Energie, sondern auf den der Kraft. Zum Unterschied von der Energie fühlt man sie unmittelbar in den Muskeln und kann sie mit Gewichten leicht messen. Am Hebel und an der schiefen Ebene zeigte schon Archimedes, wie man Kräfte vergrößert: Wer auf den längeren Arm des Hebels drückt, hebt mit wenig Kraft große Gewichte. Allerdings muss der drückende Daumen einen viel längeren Weg als den Hub des Gewichts zurücklegen.

Die so geleistete Arbeit, das Produkt der Kraft mit dem in der Kraftrichtung zurückgelegten Weg, ist in die potenzielle Energie des gehobenen Gewichts umgewandelt worden. Bei einem Pendel wird die Masse am Ende des Seils gehoben, bis die Bewegung umkehrt und das Pendel zurückschwingt. In dem Augenblick, in dem das Pendel lotrecht nach unten zeigt, schwingt es am schnellsten: Die potenzielle Energie der Hebearbeit ist in die kinetische Energie des Durchschwingens am tiefsten Punkt umgewandelt worden. Es ist kaum bekannt, dass Émilie du Châtelet, eine Mathematikerin und Freundin Voltaires, zum ersten Mal davon sprach.

Doch selbst wenn das Pendel ruht: Die Masse am Ende des Seils ist immer noch vorhanden. Und wie Albert Einstein erkannt hat, birgt sie in sich ein unerhörtes Maß an Energie. Dies ist der Inhalt der berühmten Formel E=mc2, in der m für die Masse des Körpers und E für die in ihr verborgene Energie stehen. Der Faktor c2, das Quadrat der Lichtgeschwindigkeit, ist eine in menschlichen Dimensionen gewaltige Größe: Ein Kilogramm in Energie verwandelt entspricht der Wärme, die beim Verbrennen von 60.000 Waggons Braunkohle entsteht.

Als Einstein und vor ihm Friedrich Hasenöhrl diese Formel entdeckten, hatte sie für die irdische Physik keine Bedeutung. Aber sie erklärte, warum die Sonne Jahrmilliarden zu strahlen vermag. Wäre die Sonne eine glühende Kugel aus Kohle, blieben ihr nur ein paar tausend Jahre vergönnt. Doch sie strahlt, weil in ihrem Inneren Atomkerne verschmelzen und dabei Masse in Energie umgesetzt wird. Da fast alle irdische Energie umgesetzte Sonnenenergie ist, nutzen wir letztlich Kernenergie...

Energie klug umsetzen zu können, wird eines der zentralen Themen der Zukunft sein. Daher ist es wichtig, Wissen darüber zu erwerben. Wie zum Beispiel die Formel Einsteins zustande kommt, werde ich am Abend des 13. Juni in den Hofstallungen des Museumsquartiers zu erklären versuchen.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.06.2012)

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