Nein, wir brauchen keinen Frauentag mehr. Selbstverständlich nicht!

Wir freuen uns riesig, wenn wir Jahr für Jahr am 8. März keine Statistiken mehr lesen müssen, die die Benachteiligung von Frauen belegen, wenn Gleichberechtigung in Fleisch und Blut übergegangen ist.

Klar ist der Frauentag ein leeres Ritual. Wir können diesen Tag sofort abschaffen. Sofort, wenn Gleichberechtigung der Geschlechter herrscht. Wenn jedes Individuum nach seinen persönlichen Eigenheiten und Bedürfnissen beurteilt wird, und zwar nur nach diesen. Wenn Verhaltensweisen nicht mehr als „männlich“ oder „weiblich“ kategorisiert werden, sondern allesamt als „menschlich“.

Wenn die Spielzeuggeschäfte ihre Regale nach Altersgruppen sortieren statt nach Buben- und Mädchenzeug. Wenn es keine „Bubenschultaschen“ und keine „Mädchenschultaschen“ mehr gibt, sondern schlicht Schultaschen für unterschiedliche Kinder, weil Kinder halt verschieden sind. Wenn es keine „Frauenberufe“ und „Männerberufe“ mehr gibt, schlecht bezahlt die einen, besser bezahlt die anderen, sondern schlicht Berufe für verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten. Wenn Trixi, der Automechanikerlehrling genauso wenig bestaunt wird wie Manfred, der Krippenerzieher, und wenn wir Trixis Lichtmaschinenexpertise mit der gleichen Selbstverständlichkeit vertrauen wie Manfreds Expertise beim Umgang mit Trotzanfällen.

Wenn es für jeden Heranwachsenden eine Vielfalt an Vorbildern gibt, in allen Bereichen des Lebens, auf allen Hierarchieebenen. Männer sowie Frauen in dienenden und in leitenden Funktionen, in kreativen und analytischen Tätigkeiten, in ausgleichenden und cholerischen Rollen. Wenn im Fernsehen reine Expertinnen- und Parteichefinnenrunden ebenso häufig vorkommen wie reine Experten- und Parteichefrunden. Wenn Literatur von Frauen nicht mehr „Frauenliteratur“ genannt wird, sondern „Literatur“; wenn Museen ähnlich viele Werke von Künstlerinnen und Künstlern kaufen.

Wenn Frauen im Durchschnitt über gleich viel Besitz verfügen, gleich große Budgets verwalten. Und dabei ebenso häufig wie Männer dilettieren, versagen und scheitern – ohne „als Frau“ zu scheitern.

Wenn weder Männer noch Frauen als Waren vorgeführt werden, die man begutachten, bewerten, kaufen, mieten, benützen und wegwerfen kann. Und wenn Menschen, die gemietet, benützt, weggeworfen werden, nicht mehr, zur allgemeinen Begutachtung und Bewertung, ganz selbstverständlich auf dem Straßenstrich stehen.

Wenn nicht nur Frauen Mütter werden, sondern auch Männer Väter, und sich diese Wandlung bei beiden gleichermaßen im Berufsleben niederschlägt. Wenn im Drogeriemarkt, im Wartezimmer des Kinderarztes und am Elternsprechtag gleich viele Männer wie Frauen sind.

Wenn gleich viele Männer wie Frauen Teilzeit arbeiten und Pflegeurlaub nehmen, und gleich viele Frauen wie Männer die Verantwortung als Hauptverdiener übernehmen. Wenn es gleich viele männliche wie weibliche Alleinerziehende gibt.

Wenn aus all diesen Gründen Frauen und Männer im Durchschnitt gleich viel Geld verdienen, gleich viel unbezahlte Arbeit leisten, und gleich viel Zeit übrig haben, für sich, für was auch immer.

Wenn uns die Gleichberechtigung der Geschlechter also so sehr in Fleisch und Blut übergangenen ist, dass sie uns vor lauter Selbstverständlichkeit schon gar nicht mehr auffällt – dann brauchen wir selbstverständlich keinen Frauentag mehr. Feiern stattdessen. Und räumen anschließend gemeinsam auf.


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Zur Autorin:

Sibylle Hamann
ist Journalistin
in Wien.
Ihre Website:

www.sibyllehamann.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2013)

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