Abtreibung in der Tabuzone: Es muss ein bisschen wehtun

Wäre es denkbar, dass ein Zahnarztpfuscher seit Jahren Patienten quält, ohne dass ihm jemand das Handwerk zu legen versucht?

Versuchen wir, uns den Fall vorzustellen: In Wien praktiziert ein Zahnarzt, bei dem 16 Mal die Rettung vorfahren muss, um Patienten nach missglückten Behandlungen mit Blaulicht ins Spital zu bringen. Geködert werden die Patienten übers Internet. Im Behandlungszimmer wird man auf schmuddelige Matratzen gelegt, nicht einmal einen Zahnarztstuhl gibt es.

Dann kommt der Arzt mit seinen Geräten. Er wendet nicht etwa moderne Methoden und Geräte an, sondern Techniken, die seit Jahrzehnten unüblich sind. Auch bei der Betäubung wird gepfuscht. Und es kommt öfter vor, dass der Arzt mit seinem Bohrer nicht die Karies erwischt, sondern gleich den Gaumen durchbohrt.

Man stelle sich weiters vor: Die Existenz dieser Zahnarztpraxis ist in der Branche seit 30 Jahren wohlbekannt. Die Kammer kennt den Kollegen, die Krankenhäuser ebenfalls. Denn sie kriegen regelmäßig verstörte, blutende Patienten in teilweise schlimmem Zustand auf ihre Operationstische. Auch die Behörden wissen Bescheid. Aber niemand will oder kann dagegen etwas unternehmen. Ab und zu schickt man jemanden zur Kontrolle der hygienischen Zustände vorbei, aber sonst passiert nichts.

Wäre das denkbar? Nein. Möglich ist ein Fall wie dieser nur, wenn es nicht um Karies geht, sondern um ungewollte Schwangerschaften. Nicht um Zahnfüllungen, sondern um Abtreibungen. Möglich ist das nur, weil diese in Österreich in einer Tabuzone stattfinden. Genau das ist beabsichtigt. Der Abbruch einer Schwangerschaft ist, medizinisch gesehen, ein kleiner, relativ einfacher Eingriff, der, wenn er kompetent vorgenommen wird, kaum ein Komplikationsrisiko birgt. Er ist, wenn er innerhalb der ersten zwölf Wochen stattfindet, in Österreich straffrei möglich. Doch das bedeutet nicht, dass man ihn auch kompetent, unkompliziert, berechenbar oder gar auf Kosten der Krankenkasse durchführen lassen könnte.

Wir erinnern uns an den seinerzeitigen Vorstoß der damals neuen Landeshauptfrau Gabi Burgstaller: Sie wollte das öffentliche Landeskrankenhaus dazu verpflichten, Schwangerschaftsabbrüche anzubieten, damit Patientinnen aus den westlichen Bundesländern der Weg nach Wien erspart bleibt. Der Aufschrei war groß. Das Spital weigerte sich. Die Lösung des Problems illustriert trefflich die Doppelmoral: Sie besteht heute darin, dass zu regelmäßigen Terminen Ärzte aus Wien anreisen.

Auch in anderer Hinsicht fehlt Transparenz. In Österreich existieren keine Daten über Schwangerschaftsabbrüche; Schätzungen zufolge ist die Rate höher als in vergleichbaren Ländern – was ein eklatantes Versagen von Sexualaufklärung und Verhütung verraten würde.

Doch auch darüber wird nicht offen und ehrlich geredet, sondern stets mit moralisierendem Unterton. Stünde das Wohl der Patientinnen im Mittelpunkt, man könnte ihre Bedürfnisse erheben. Mit dem Ziel, den Eingriff so schonend, die Begleitumstände so angenehm wie möglich zu gestalten.

Doch genau das ist es, was eine Abtreibung in der Tabuzone nicht sein darf: schonend, unkompliziert. Auch wenn Abtreibungen erlaubt sind – „allzu einfach“ will man es Frauen dabei nicht machen. Ein bisschen Angst, Unsicherheit und Scham müssen immer dabei sein, Schmerzen auch. Damit die Frau wenigstens merkt, dass sie etwas Verwerfliches tut.


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Zur Autorin:

Sibylle Hamann
ist Journalistin in Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.07.2013)

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