Nein, Schlepper sind nicht immer „skrupellose Menschenhändler“

Was ist ein Schlepper? Und was an dem, was er tut, ist kriminell? Anmerkungen zu einem beliebten Begriff, der oft absichtlich falsch verwendet wird.

Was ist ein Schlepper? Der Duden sagt: ein Traktor. Oder ein Mensch, der Flüchtlinge oder Arbeitssuchende illegal über eine Grenze bringt. Das österreichische Strafgesetz, Paragraf 114, bedroht ihn mit zwei Jahren Haft, wenn er sich „an der illegalen Einreise bereichert“; auf die unentgeltliche Hilfe steht eine Geldstrafe von 1000 bis 5000 Euro.

Die „Kronen Zeitung“ kennt den Schlepper nur in Kombination mit den Worten „brutal“, „skrupellos“, „Mafia“ oder „Bande“. Oder verwendet das Wort gleich als Synonym für „Menschenhändler“. Neuerdings muss der „Schlepper“-Vorwurf herhalten, um die Pakistani aus dem Servitenkloster öffentlich zu diskreditieren und ihre Abschiebung zu rechtfertigen. Da ist es Zeit, den Begriff einmal nüchtern auszuleuchten.

Was tut man, wenn man unter einem Unrechtsregime lebt und fürchten muss, dass demnächst Geheimdienst, Soldaten oder Schlägertrupps vor der Tür stehen, um einen zu holen? Man wendet sich wohl eher nicht ans nächstgelegene Polizeiwachzimmer oder ans örtliche Bürgerservice. Eher versucht man, sich dem Zugriff der Obrigkeit so schnell wie möglich zu entziehen – am besten über die Grenze. Das kann man nicht allein. Man braucht Menschen, die einem Tipps geben. Den Weg weisen – durch die Wüste, über Gebirgspässe, übers Meer, durch Flüsse oder über Stacheldrahtzäune. Man braucht Transportmittel, Passierscheine mit echten oder gefälschten Stempeln, Quartiergeber, Verbindungsleute, die einem Zettel mit Adressen in die Hand drücken.

All diese Menschen gehen ein Risiko ein. Manche handeln aus altruistischen oder ideologischen Motiven – sie wollen der eigenen Ethnie oder Gesinnungsgemeinschaft helfen, teilen den Hass auf das Regime. Anderen geht es ausschließlich ums Geld. Nicht immer ist die Linie zwischen diesen und jenen eindeutig zu ziehen. Sind zweihundert Dollar für eine riskante Taxifahrt angemessen, oder nützt man damit eine Notlage aus? Sind 5000 Dollar für eine Sahara-Durchquerung zu viel?

Schlepper können nüchterne Dienstleister sein, die die Preise für ihre Leistungen redlich kalkulieren und für die Reisenden Verantwortung übernehmen, wie anderswo ein Reisebüro. Andere sind Betrüger, die falsche Versprechen machen, oder ihre Schützlinge absichtlich in ausweglose Situationen bringen, um Geld nachzufordern. Berüchtigt sind Geschäftsmodelle, die wie Schuldknechtschaft funktionieren: Die Reise wird quasi auf Kredit gemacht, der Flüchtling verpflichtet sich, die Kosten (und noch mehr) nachher im Zielland abzuarbeiten – nach diesem Muster werden Nigerianerinnen in Österreich als Prostituierte ausgebeutet. Hier ist tatsächlich der Menschenhandel nicht weit.

Was ist ein Schlepper? Je nachdem, lautet die Antwort. Er ist Profiteur oder Lebensretter, häufig ist er beides gleichzeitig. Der wunderbare Film „Ein Augenblick Freiheit“, in dem der Filmemacher Arash Riahi die abenteuerliche Fluchtgeschichte seiner kleinen Geschwister über die iranischen Berge bis Österreich nachzeichnet, führt diese Doppeldeutigkeit eindringlich vor Augen.

Gemeinsam haben alle Schlepper bloß, dass sie von Willkür und Intransparenz profitieren. Dass sie umso wichtiger werden, je dichter die Grenzen sind. Und dass es sie geben wird, solange es irgendwo Fluchtgründe gibt.

Also immer.


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Sibylle Hamann

ist Journalistin in Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2013)

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