Beim FPÖ-Wählen war Österreich der Trendsetter Europas

Frankreich ringt mit dem rechtspopulistischen Front National - und folgt damit einem Drehbuch, das uns in vielen Details bekannt vorkommt.

Machen wir eine kleine Zeitreise. Ziemlich genau 15 Jahre ist es her, dass Österreich über Nacht zum Schmuddelkind Europas wurde. Jörg Haiders FPÖ hatte 27 Prozent der Wählerstimmen eingefahren, machte sich bereit für eine Regierungsbeteiligung – und insbesondere in Frankreich empfand man das als unerhörten Tabubruch.

Nicht nur Minister der schwarz-blauen Regierung wurden geschnitten, auch die Bevölkerung bekam vereinzelt Sanktionen zu spüren: Französische Schulen sagten Schüleraustauschprogramme ab, Skikurse wurden boykottiert, österreichische Soldaten durften nicht an Übungen in Frankreich teilnehmen, Catherine Deneuve kam aus Protest nicht zum Wiener Opernball.

Egal, wie man die „Wende“ damals inhaltlich bewertete – ob man Haider-Fan war oder auf den Donnerstagsdemos gegen Schwarz-Blau marschierte: In beiden Fällen hatte man das Gefühl, in einem Land zu leben, das anders tickt als der europäische Mainstream. Extremer. Rechter. Ausländerfeindlicher.

Speziell im direkten Vergleich mit Frankreich: Dort hatte sich der Front National 1999 eben gespaltet und war bei EU-Wahlen nicht über klägliche 5,7 Prozent hinausgekommen. Die Franzosen, gestrenge EU-Prinzipienritter, konnten sich moralisch überlegen fühlen. Immun gegen fremdenfeindliche, antieuropäische Parolen und gegen die Verführungskraft des Rechtspopulimus. „Wehret den Anfängen“, sagte Jaques Chirac, Staats- und EU-Ratspräsident, damals.

Wie es ihm wohl heute geht? Denn inzwischen hat sich in Frankreich der Front National als stabile dritte Kraft festgesetzt, bei manchen Wahlgängen wird er gar stimmenstärkste Partei. Aus heutiger Perspektive kann man sagen: Was den Rechtspopulismus betrifft, war Österreich kein Irrläufer, sondern eher Trendsetter.

Wir kennen das alles schon: die Attitüde, mit der jemand „gegen das System“, „gegen die Parteien“, „gegen das Establishment“ wettert – um sehr rasch selbst Teil des Systems zu werden, sobald es Macht und Geld zu verteilen gibt. Wir kennen das: Wie Wahllisten schnell mit irgendwelchen Kandidatennamen aufgefüllt werden, und häufig sind dann Leute mit obskuren Ansichten oder Verbindungen in radikale Szenen dabei.

Wir kennen die Sonnyboy-Typen mit offenem Hemd, die als unkonventionelle Rechte Blitzkarrieren hinlegen. Sie scheinen speziell in südlichen, wärmeren Landesteilen zu gedeihen, wo man gern Sommerurlaub macht (der Bürgermeister von Cogolin an der Cote d'Azur gehört zu dieser Spezies). Wir kennen die ideologische Mischung, die Unvereinbares zusammenbringt, ohne dass die Widersprüche irgendjemandem auffallen: alter Antisemitismus plus neuer Antiislamismus plus neuer islamischer Antisemitismus – geht alles, kein Problem! Wir kennen den Wahlkampftrick, jedes Thema zum Einwanderungsthema zu machen: Schulen, Gesundheit, Soziales, Kulturpolitik – egal was, die Ausländer sind schuld. Und wir kennen das Mysterium, dass die Angst vor Fremden umso heftiger wird, je weniger Fremde im Wahlkreis leben.

Wir kennen die taktische Konfusion der anderen Parteien. Eine Sozialdemokratie, die den Feind dämonisiert, in Schockstarre verharrt, und ihn damit noch mächtiger macht, als er ist: „Ich habe Angst um mein Land“, sagte Frankreichs sozialdemokratischer Premier Manuel Valls. Während gleichzeitig die Bürgerlichen ihre taktischen Optionen im Auge behalten, so tun, als sei alles ganz normal – und die Radikalen damit hoffähig machen. Beides gemeinsam kann FN-Sympathisanten nur bestätigen: Denn man will anderen ja einen Schrecken einjagen, aber gleichzeitig auch von seriöser Seite bestätigt bekommen, dass man rational handelt.

Und schließlich kennen wir das Anti-EU-Paradox: Wie die EU-Gegner aller EU-Länder zur Verteidigung ihrer jeweiligen nationalen Eigenheiten auf die Barrikaden steigen – ohne zu merken, dass uns genau das, über alle nationalen Grenzen hinweg, immer ähnlicher macht.

E-Mails an:debatte@diepresse.comZur Autorin:

Sibylle Hamann
ist Journalistin

in Wien.
Ihre Website:

www.sibyllehamann.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.