Auf den Strich geschickt

Asylwerberinnen dürfen in Österreich nicht arbeiten. Außer als Prostituierte.

Es ist nicht leicht, aber versuchen wir einmal, es uns vorzustellen. Eine Frau kommt nach Österreich und sucht um Asyl an. Vor irgendetwas ist sie davongelaufen zu Hause, vor irgendetwas sucht sie hier Zuflucht. Wie ihr Asylverfahren ausgeht, ist ungewiss, die Entscheidung kann dauern. Die Frau muss also warten, warten, hoffen, warten. Warten und Nichtstun können zermürben, depressiv machen, die letzten Reste an Lebensmut und Selbstvertrauen zerstören.

Die Frau will also dringend etwas tun; für sich selbst und für das Land, das sie vorübergehend aufgenommen hat. Sie will ja nichts geschenkt. Sie will sich durchbeißen, selbst ernähren, sich erhalten können mit ihrer Hände Arbeit. Deswegen erkundigt sie sich, welchen Job sie machen könnte, hier in Österreich.

Sie kriegt die Antwort: Du darfst auf den Strich gehen, ganz legal. Sonst darfst du praktisch nichts.

Man muss das zweimal hören, ehe man es wirklich glauben kann. Das österreichische Ausländerbeschäftigungsgesetz erlaubt Asylwerberinnen und Asylwerbern eigentlich, drei Monate, nachdem sie ihren Antrag gestellt haben, einer Lohnarbeit nachzugehen. Gleichzeitig allerdings gibt es einen Erlass des Arbeitsministeriums, der dieses Gesetz de facto außer Kraft setzt, weil er die Jobs, die Asylwerber annehmen dürfen, radikal beschränkt. Ein bisschen Saisonnierarbeit ist erlaubt, allerdings nicht in allen Bundesländern verfügbar. Als andere Option bleibt, einem „freien Gewerbe“ nachzugehen.

Eine Asylwerberin in Österreich darf sich also als Marathontrainerin verdingen, als Journalistin oder als Gesangslehrerin. Theoretisch. In der Praxis beinhaltet „freies Gewerbe“ für sie nur eine einzige Möglichkeit: die Prostitution.

Wer jemals im Prater unterwegs war, der sieht: Diese – ganz legale, ganz offizielle – Option wird genützt. Und sie wird, vonseiten der Kunden, auch bereitwillig angenommen. Denn auf dem Strich gilt eine eiserne Regel: Je ärmer, je abhängiger, je ängstlicher, je schlechter integriert die Prostituierte, desto billiger wird sie sein. Desto weniger kann sie sich gegen alles, was ein Kunde wollen mag, wehren.

Darf das eigentlich wahr sein? Menschen, die vor Verfolgung fliehen, haben, wie man so schön sagt, sehr oft bloß ihre „nackte Haut“ gerettet. Sie sind mit Leib und Leben davongekommen, und mit sonst nicht viel. Wie pervers ist eine Rechtslage, die solchen Menschen nahelegt, ihren eigenen Körper zu verkaufen, wenn sie ihren Lebensunterhalt verdienen wollen? Anders gefragt: Wie pervers ist eine Gesellschaft, die Asylwerberinnen bloß eine einzige Rolle und eine einzige Existenznische zur Verfügung stellt – nämlich die Sexarbeit?

Die christliche ÖVP ist „entsetzt“ über die EU-Idee, Asylwerberinnen den normalen Arbeitsmarkt zu öffnen. Entsetzen über eine christliche ÖVP, die sich derart menschenverachtende Gesetze ausgedacht hat, wäre passender.

Sibylle Hamann ist Journalistin in Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.