Revolution mit Gänsefüßchen: Wie viel Terror darf's denn sein?

Die FPÖ verspricht Wien eine „Oktoberrevolution“. Historisch kennt man sich in der Partei wahrscheinlich ganz super aus.

Man soll politische Meinungen, die den eigenen widersprechen, ernst nehmen, heißt es in zivilisierten Kreisen. Wenigstens zuhören soll man, eventuell nachfragen, ehe man etwas für Unsinn erklärt. Okay also, dem Verständnis zuliebe: Liebe FPÖ, wie meinen Sie das mit der Oktoberrevolution? Genauer, der „Oktoberrevolution“ in Anführungszeichen? Welcher Aspekt daran schwebt Ihnen als Vorbild vor?

Ist es die Art, wie Wladimir Iljitsch Lenin 1917 im plombierten Waggon illegal über die finnische Grenze nach Petrograd geschleppt wurde? In der Stadt hatte niemand wirklich auf seine Partei gewartet. Sie hatte wenige Mitglieder und ein Programm, das kaum jemand verstand... Sie vertrat weder die Interessen der Arbeiter noch der Bauern. Sie war eine Partei von Berufsrevolutionären, die mit dem Volk, das sie befreien wollten, nicht verbunden waren.

Gefällt Ihnen die Taktik der Bolschewiken? Sie wollten die Zustimmung verbitterter und enttäuschter Menschen mobilisieren... Sie artikulierten den Unmut, die Unzufriedenheit und den Hass der Unterschichten auf die alte Ordnung und die alten Eliten... In der Atmosphäre des Hasses traten die Bolschewiki als Advokaten hemmungsloser Gewalt auf. Der Machokult des Tötens und Mordens, die Primitivität und Bösartigkeit des Vokabulars und nicht zuletzt die Kleidung wies sie als Männer der Tat aus.

Oder die Wortwahl? „Wir leben schon so lange im Strom der offiziellen Worte ,erdrücken‘, ,ersticken‘, ,vernichten‘, ,zermalmen‘, ,ausrotten‘, ,im Blut ertränken‘, ,ins Grab bringen‘ usw., dazu die alltägliche Wiederholung unflätiger Schimpfwörter“, erzählte ein Zeitgenosse.

Vielleicht erkennen Sie den politischen Gegner wieder? Sie waren ängstlich, schwach, wollten vermeiden, gegen die Bolschewisten zu kämpfen... Noch im Sommer vertrauten die Liberalen und gemäßigten Sozialisten auf Gesetze und Verfassungen... „Zum Glück besaßen unsere Feinde damals nicht die Konsequenz und Entschlossenheit, um gegen uns vorzugehen“, sollte Lenin später sagen.

Ist Ihnen die Art der Machtergreifung sympathisch? „Die Menge stürzte sich mit Schreien auf uns: ,Erschießt sie, die Blutsauger, spießt sie auf die Bajonette!‘ Wir liefen, umringt von einer wütenden Menge. Die Matrosen schrien: ,Warum macht ihr Umstände mit ihnen? Werft sie in die Newa!‘“ (Alexej Maximowitsch Nikitin, gestürzter Innenminister)

Die Art, „süße Rache“ zu nehmen? Die Bolschewiki waren nicht bereit, mit den von ihnen bezwungenen Gegnern Kompromisse einzugehen... Als die Revolutionstribunale mit politischen Feinden nicht hart genug umgingen, erließ Lenin die Verordnung „Das Vaterland ist in Gefahr!“, in der befohlen wurde, alle feindlichen Agenten, Profiteure, Hooligans und konterrevolutionären Agitatoren auf der Stelle zu erschießen.

Erkennen Sie sich im Mangel an Empathie wieder? Auffallend ist die Gleichgültigkeit gegenüber menschlichem Leid, die die sowjetischen Regierungskreise an den Tag legten. Als Bauern zu Zehntausenden verhungerten, zeigte der Kreml nicht das geringste Mitgefühl... Millionen starben später in den Gulags, als Folge grober Ineffizienz und Vernachlässigung. Vor allem Angehörige nationaler Minderheiten starben während der „großen Säuberungen“.

Lenins Sieg war ein Vernichtungssieg, der verbrannte Erde, materielle und seelische Verwüstungen hinterließ. Die Bolschewiki zerrissen die dünne Schicht der Zivilisation. Sie vernichteten das europäische Russland, seine Eliten und Wertvorstellungen und ersetzten sie durch eine barbarische und maßlose Gewaltherrschaft. Oder, wie Alexander Solschenizyn sagte: „Die Oktoberrevolution hat dem Land das Rückgrat gebrochen. Gewalt geschürt, anstatt geistige Gemeinschaft zu begründen, und die Gesellschaft auseinandergerissen, statt sie zu einen.“

Vielleicht präzisiert die FPÖ bei Gelegenheit, wie ernst sie meint, was sie plakatiert. Wir hören zu.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Sibylle Hamann
ist Journalistin

in Wien.
Ihre Website:

www.sibyllehamann.com


Anmerkung:
Die kursiven Zitate stammen aus verschiedenen Beiträgen des Bandes „Oktoberrevolution. Aus Politik und Zeitgeschichte“, Nr. 44–45/2007
(Autoren: Leonid Luks, Jörg Baberowski, Norman Naimark, Irina Scherbakowa).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.08.2015)

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