Wenn's nach oben geht, huldigen – wenn's nach unten geht, nachtreten

Der Boulevard schwelgt in Bewunderung für den neuen Kanzler. Hoffentlich nimmt Christian Kern es nicht persönlich. Denn die Liebe gilt nicht ihm, sondern der Macht.

Es ist gut, dass ein Ruck durchs Land geht. Es ist richtig, einem, der in diesen Tagen die schwierige Aufgabe des Bundeskanzlers übernimmt, aufmunternd auf den Rücken zu klopfen, auf dass ihm der Reformelan nicht allzu schnell ausgehe. Auch an der Person ist nichts auszusetzen. Christian Kern ist, nach allem, was wir über ihn erfahren haben, ein fähiger, sympathischer Mann. Dennoch kann einem, angesichts der Begeisterungswogen, die uns derzeit entgegenschwappen, ein bisschen bang werden. Das hat weniger mit der Person zu tun, als vielmehr mit der fatalen Dynamik von Macht und Unterwerfung.

Es geht nämlich, speziell auf dem Boulevard, immer verdächtig schnell mit der ganz großen Liebe. Sie entzündet sich so heftig, dass man kaum mitkommt. Schon die Bildauswahl auf den Titelseiten zeigt das: Von unten nach oben fotografiert, den Blick auf ein fernes Ziel am Horizont fixiert – so hat man in der Kunstgeschichte Feldherren dargestellt, knapp bevor sie zu ihren Eroberungsfeldzügen losziehen. Oder Rockstars. Oder Erlöser.

Wie cool der Typ ist! Wie perfekt geschnitten seine Anzüge! Den Hinweis auf die äußerliche Ähnlichkeit Christian Kerns mit Humphrey Bogart kann sich kaum ein Medium verkneifen. Auf die Spitze treibt den Vergleich die „Kronen Zeitung“, die ihn in eine ganzseitige Humphrey-Bogart-Fotogalerie einreiht – auf jedem Bild drückt er eine andere Hollywood-Diva an die kräftige Schulter. „Intelligent, erfahren, versiert, cool, bisweilen zynisch, mitunter rücksichtslos, aber stets konsequent seinem inneren Moralkodex folgend“, dichtet dazu, liebestrunken, Michael Jeannée.

Christian Kern wird intelligent genug sein, angesichts solcher Hymnen höflich distanziert zu bleiben, und sie als das zu interpretieren, was sie in Wahrheit sind: Unterwerfungsgesten nämlich. Er tut auch gut daran, sie nicht hundertprozentig persönlich zu nehmen. Denn was hier aphrodisierend wirkt, sind weder seine schönen Augen noch sein geschicktes Händchen bei der richtigen Ministerauswahl. Nein – aphrodisierend wirkt allein die Macht.

Im Fall der Boulevardzeitungen spielt hier selbstverständlich nüchternes ökonomisches Kalkül mit. Denn wer die Macht hat, hat etwas zu verteilen, in Form von Geld, Inseraten, Exklusivstorys und politischen Gefälligkeiten – so zumindest sind es die großen Zeitungen in Österreich bisher gewöhnt.

Gleichzeitig schwingt bei aller Bewunderung immer auch eine subtile Warnung mit: „Schau her, Kanzler, wie gut es sich anfühlt, unser Darling zu sein. Gewöhn dich dran, wie an eine Droge, denn je abhängiger du davon wirst, desto besser für uns. Schließlich können wir auch ganz anders. Und wenn wir meinen, dass uns deine Macht nicht mehr nützlich genug ist, dann wird dein Sex-Appeal plötzlich wie weggeblasen sein.“

An Beispielen für dieses zutiefst autoritäre Verhaltensmuster ist die jüngere Vergangenheit reich. Erst im vergangenen Jahr noch spielten beinahe alle Medien bei der Inszenierung von Reinhold Mitterlehner als „Django“ mit, Westernstiefel inklusive. Und es ist noch gar nicht so lang her, da nannte „Österreich“-Herausgeber Wolfgang Fellner den Bundeskanzler Werner Faymann noch „unseren Austro-Obama“.

Nun – den Rest der Geschichte kennen wir. Werner wer? „Er war nie sonderlich beliebt“, schreibt die „Krone“ heute lapidar ihrem Eben-noch-Lieblingskanzler hinterher. So schnell kann man gar nicht schauen – und der gestern noch Verehrte wird, sobald sein Stern zu sinken beginnt, der Lächerlichkeit preisgegeben; die Heldenposen weichen den absichtlich unvorteilhaft ausgewählten Meuchelfotos, hämischer Witzchen inklusive.

„Nur rechtzeitig absetzen“ lautet die Devise – und nachtreten. Je lauter die Anfangseuphorie war, desto fester nachtreten und so tun, als sei man nie dabei gewesen. Denn inzwischen ist ja sicher schon der nächste Erlöser im Anmarsch.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Sibylle Hamann
ist Journalistin

in Wien.
Ihre Website:

www.sibyllehamann.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.