Die Polinnen gehören den Polen – und ihre Bäuche ebenfalls

Dem völkischen Pseudofeminismus geht es nicht um Rechte, sondern um Kontrolle der Frauen. Das zeigt sich in Polen, wo Europas rigidestes Abtreibungsverbot droht.

Frauen haben das unverbrüchliche Recht auf körperliche Integrität und sexuelle Selbstbestimmung. Kein Mann hat ihnen irgendetwas aufzuzwingen, das sie nicht wollen. Ihr Körper gehört nur ihnen allein.

Deswegen müssen Staat, Polizei, Politik und Mitbürger den Frauen stets dabei helfen, jeden unerwünschten Eingriff in ihre Intimsphäre, jede Grenzverletzung, jeden Übergriff abzuwehren: So weit, so richtig. Und im Prinzip auch gut, dass neuerdings nicht nur notorische „Kampfemanzen“ und „Rabiatfeministinnen“ so reden, sondern auch Leute aus der rechtspopulistischen Ecke. Seit es darum geht, Fremde abzuwehren, hat der Kampf für Frauenrechte ja viele neue Mitstreiter bekommen.

In allen weltanschaulichen Lagern werden flammende Plädoyers für die Gleichberechtigung gehalten, und plötzlich ist jedem klar, was lang umstritten war: dass die Freiheit der Frauen eine tragende Säule unserer westlichen Zivilisation ist. Sie unterscheidet uns von den meisten anderen Weltregionen, und wir müssen alles dran setzen, diese Errungenschaft zu verteidigen.

In dieser Art tönt es seit einem Jahr nicht nur in Österreich, Deutschland und Frankreich, sondern auch in Polen. Als es darum ging, dass die EU einige Hundert syrische Flüchtlinge in Polen ansiedeln wollte, gingen die Emotionen hoch. Die Fremden würden „unsere Frauen vergewaltigen“, hieß es auf Demonstrationen im ganzen Land, das werde man nie und nimmer zulassen.

Ein paar Scharfmacher schlossen sich, in Hooligan-Manier, gar zur „Polnischen Verteidigungsliga“ zusammen und kündigten Patrouillen durch Discos und Lokale an. Man wolle Polinnen vor Belästigungen, sexuellen Beziehungen und späteren Kindesentführungen durch Muslime warnen, kündigte man an, und sich tapfer dazwischenwerfen, sollte sich irgendein arabisch aussehender Mann einer Polin unsittlich nähern.

Die Patrouillen wurden dann doch nicht notwendig. Denn ebendiese Stimmung im Land brachte im vergangenen Winter die national-religiös-rechtspopulistische Partei für Recht und Gerechtigkeit (PiS) an die Macht. Das Flüchtlingsabkommen mit der EU wurde abgesagt, Syrer ließ man gar keine ins Land. Können die polnischen Frauen nun also aufatmen? Ist die Gefahr für ihre sexuelle Selbstbestimmung gebannt, ihre körperliche Integrität gerettet?

Nein, leider nicht. Vergangene Woche verabschiedete das polnische Parlament – in erster Lesung – ein Gesetz, das Schwangerschaftsabbrüche mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft. Die Haftdrohung betrifft sowohl die Frau als auch das medizinische Personal, das ihr hilft. Schon bisher hatte Polen eines der rigidesten Gesetze Europas: Abtreibungen waren verboten, Ausnahmen gab es nur bei schweren, unbehandelbaren Missbildungen des Fötus, wenn die Gesundheit der Mutter in Gefahr war, sowie für Schwangerschaften nach Inzest oder Vergewaltigung.

Auch diese wenigen straffreien Ausnahmen sollen nun beseitigt werden. In Hinkunft darf eine Frau eine Schwangerschaft nur noch beenden, wenn sie in „unmittelbarer Lebensgefahr“ ist. In allen anderen Lebenslagen wird sie gezwungen, ein ungewolltes Kind auszutragen.

Dass eine Frau zur willenlosen Hülle gemacht wird; dass ihr Bauch vom Staat in den Dienst genommen wird – einen ärgeren Übergriff kann man sich kaum vorstellen. Aber was sagen da all die glühenden Verfechter der Frauenrechte, die eben noch für die sexuelle Selbstbestimmung der Frau eintraten, für ihre körperliche Integrität, für den Schutz vor Übergriffen? Die sehen hier gar keinen Widerspruch. Denn um Freiheit für Frauen ging es ihnen ohnehin nie.

Den völkischen Pseudofeministen, wie ich sie hier nennen will, geht es einzig und allein um Kontrolle: über „ihre Frauen“, deren Körper, deren Sexualität, deren Fortpflanzungsorgane. Auf dass sich niemand anderer an dem vergreife, was – ihrer Meinung nach – ihnen allein gehört.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Sibylle Hamann
ist Journalistin

in Wien.
Ihre Website:

www.sibyllehamann.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.09.2016)

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