Erst erfand Zuckerberg Facebook, jetzt erfindet er den Journalismus

Sinn von Unsinn zu unterscheiden ist ein Job, den man lernen kann. Wie wichtig dieser Job ist, merken wir aber vielleicht erst, nachdem wir ihn abgeschafft haben.

Facebook ist ein großartiges Medium. Man denkt sich etwas, und kann es anderen sofort mitteilen. Oder man liest eine Nachricht, hält sie für wertvoll und kann sie mit anderen teilen. Wenn man Glück hat, wird das dann von vielen anderen weitergeteilt. Und manchmal erfahren es schließlich Millionen Menschen.

Facebook ist gleichzeitig ein furchterregendes Medium. Man denkt sich absichtlich eine gemeine Lüge über jemanden aus, und kann sie, ohne irgendeine Kontrollschranke überwinden zu müssen, sofort in die Welt setzen, einfach so. Oder man liest eine Gemeinheit über jemanden, man möchte gern glauben, dass sie wahr ist, weil sie ins eigene Weltbild passt, man wünscht sich, es sollten noch viel mehr Menschen davon erfahren, also teilt man sie weiter. Wenn es schlimm läuft, sind schließlich Millionen davon überzeugt, dass eine gemeine Lüge wahr ist. Die gemeine Lüge entscheidet Wahlen, vergiftet Beziehungen zwischen Menschen, zerstört Gesellschaften oder vernichtet ganze Existenzen.

Aus der Sicht des professionellen Journalismus muss man nüchtern sagen: Facebook zieht einem den Boden unter den Füßen weg. Es zersetzt das Fundament unseres Berufs. Denn selbstverständlich ist es auch im professionellen Journalismus schon tausendfach vorgekommen, dass Falschinformationen, Gemeinheiten und Lügen verbreitet wurden, sowohl absichtlich als auch unabsichtlich. Selbstverständlich gibt es Kampagnenjournalismus, manipulativen Journalismus, schlechten Journalismus – und Journalismus, für den man sich als Journalistin schämen muss.

Aber: Dass es vollkommen gleichgültig ist, ob eine Meldung stimmt oder nicht, dass es überhaupt keinen Unterschied mehr macht, ob in einer Geschichte hundert Stunden akribische Recherche stecken oder ob sie frei erfunden ist – das ist etwas grundlegend Neues. Facebook gibt jener Information, die am meisten angeklickt wird, das meiste Gewicht. Es gibt dir genau das zu lesen, was du lesen willst, und ist damit weltweit das wichtigste Nachrichtenportal geworden. Zumindest für jene Gegenden, in denen es bisher noch eine funktionierende Öffentlichkeit und unabhängige, redlich arbeitende Medien gibt, ist das keine gute Nachricht.

Wie umgehen mit dieser riesigen Verantwortung? Der Facebook-Chef hat sich vor der Antwort lang gedrückt. Inzwischen allerdings ist der Druck auf ihn immer größer geworden. Mark Zuckerberg hat sich daher nun Strategien ausgedacht, die es den Facebook-Nutzern in Hinkunft erleichtern sollen, Tatsachen und Lügen besser unterscheiden zu können.

Sein Plan geht so: Facebook will Filter erfinden, die gefälschte Informationen als solche erkennen können, noch ehe der Verdacht von Nutzern gemeldet wird. Es will Warnsignale einbauen, die Nutzer darauf aufmerksam machen, bevor sie Meldungen weiterverbreiten,die schon längst als Falschmeldungen entlarvt wurden. Es will neue Algorithmen entwickeln, die glaubwürdige Quellen anders als notorisch unglaubwürdige Quellen bewerten, und erkennen, wenn gezielte Desinformation von Spamschleudern in die Welt gesetzt wird.

Vor allem aber hat Mark Zuckerberg eine grandiose Idee: Er will die Zusammenarbeit mit jenen Institutionen suchen, die wissen, wie man Fakten auf ihren Wahrheitsgehalt abklopft. Er will deren Expertise nutzen, von deren Spezialisten lernen und ihre Techniken dann auch in seinem eigenen Medium einsetzen.

Kurz gesagt: Mark Zuckerberg will etwas erfinden, was es bereits gibt. Es heißt Journalismus und wird seit vielen Jahrzehnten professionell betrieben (in der „Presse“ beispielsweise bereits seit 1848).

Die Erfindung unseres Berufs war offenbar doch für etwas gut. Was wir gelernt haben, erfüllt einen Zweck, der einen gesellschaftlichen Wert hat. Hoffen wir bloß, dass sich das rechtzeitig herumspricht, ehe wir den Beruf abgeschafft haben – und Zuckerberg ganz von vorn noch einmal damit anfangen muss.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Sibylle Hamann
ist Journalistin

in Wien.
Ihre Website:

www.sibyllehamann.com

Zuletzt wurde
sie mit dem
Prälat-Ungar-
Journalistenpreis
ausgezeichnet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2016)

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