„Es war wahrscheinlich Mord.“ Aber es war bloß eine Pflegerin

Wie viel zählt eigentlichein Menschenleben? Das ist hierzulandesehr unterschiedlich, wie der Fall der in Oberösterreich ermordeten Slowakin Denisa Šoltísová zeigt.

Manchmal muss man froh sein, dass es Schriftsteller gibt. Jene von der hartnäckigen Sorte, jene Art Menschen, die sich nicht zufriedengeben mit dem ersten Anschein einer Sache. Martin Leidenfrost, den „Presse“-Lesern seit vielen Jahren als Autor bekannt, ist so einer. Ihm verdanken wir, die Geschichte von Denisa Šoltísová zu kennen. Aus dieser wiederum erfahren wir viel über die blinden Flecken Österreichs.

Die Geschichte geht so: An einem kalten Jännertag vor fast drei Jahren wurde die Leiche einer jungen Frau aus dem Fluss Ager gefischt. Die Tote hieß Denisa Šoltiśová, 29 Jahre alt, Akademikerin aus bürgerlichem Haus, zuletzt gemeldet als Pflegerin im Haushalt eines angesehenen ehemaligen Primararztes in Vöcklabruck.

Ihr Körper war nackt und zeigte blaue Flecken, in ihrem Blut fand sich ein Medikamentencocktail „vom Typ Blauensteiner“. „Es war sehr wahrscheinlich Mord“, sagt der Gerichtsgutachter dazu.

Das kann der Gutachter allerdings erst heute sagen, denn fast drei volle Jahre lang hatten sich Polizei, Justiz, Medien und lokale Öffentlichkeit beharrlich geweigert, sich den Fall überhaupt näher anzuschauen. „Selbstmord“, sagte der Amtsarzt, „Selbstmord“, sagte der Staatsanwalt, „Selbstmord und Schluss!“, sagte, quasi als letzte Instanz, die oberösterreichische „Kronen Zeitung“.

Termine wurden verschleppt, Übersetzungen hinausgezögert, neue Erkenntnisse ignoriert. Wer nachfragte, Details wissen wollte, auf Widersprüche hinwies – die Familie des Opfers, deren Anwalt, slowakische Medien, slowakische Behörden, Leidenfrost –, dem wurde ein dröhnendes „Kusch!“ entgegengeschleudert. Und mit Klage gedroht.

Hat doch niemanden zu interessieren. War doch bloß eine Pflegerin. Eine ausländische Hilfskraft. Eine „Roma-Slowakin“, wie die „Krone“ wider besseres Wissen untergriffig anmerkte. Eine solche Person sei jedenfalls kein Grund, „unsere Behörden anzupatzen“, wie es ebendort ebenfalls hieß, und Unruhe zu stiften, in unserem schönen, friedlichen, beschaulichen Vöcklabruck. Was sie wohl gesagt und geschrieben hätten, wäre die Tote im Fluss die Enkeltochter des angesehenen Primararztes gewesen?

In Österreich gibt es, so lautete die Lehre aus diesem Fall, Menschen, deren Leben und Wohlergehen den Behörden mehr am Herzen liegen als das anderer. Eine Frau, die zu uns arbeiten kommt, weil wir sie dringend darum gebeten haben, kann daraus noch keinen Anspruch ableiten, von ihrer Umgebung auch angemessen respektiert und beschützt zu werden.

Möglichst still soll sie herkommen, möglichst leise ihre Arbeit tun, und ebenso unauffällig möge sie anschließend wieder verschwinden, ohne irgendwem Umstände zu machen. Dass sie ein Mensch mit einer Biografie, einer Familie, mit eigenen Interessen und Plänen ist, möge sie gefälligst für sich behalten. Es reicht, wenn wir ihren Vornamen kennen.

Seit ein paar Tagen wird jetzt also wieder ermittelt im Fall Šoltísová. Ihr Mörder, der dort draußen womöglich frei herumläuft, wird sich damals gedacht haben, er sucht sich ein leichtes Opfer aus. Eine, für die sich garantiert niemand stark macht.

Es wäre gut für Österreich, wenn sich dieser Mörder am Ende doch noch irrt.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2010)

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