Die ÖBB nennen ihn „Bratislover“. Aber sie lassen ihn im Regen stehen.

Dummes, kontraproduktives Sparen, zweiter Teil: Wie die theoretisch beste internationale Zugsverbindung des Landes, jene zwischen Wien und Bratislava, systematisch sabotiert wird.

Angenommen, Sie sind Verkehrstheoretiker, und man beauftragt Sie, die perfekte Zugstrecke zu entwerfen. Sie würden ein paar idealtypische Charakteristika notieren: Ungefähr eine Stunde müsste sie dauern, zwei wachsende Großstädte miteinander verbinden, idealerweise zwei Hauptstädte mit verschiedenen Sprachen und großem ökonomischen Potenzial. Der Weg dazwischen dürfte weder durch Sümpfe noch durch wilde Schluchten führen, sondern schnurgerade über eine weite Ebene.

Schön, wenn man dabei auf kollektive Erinnerungen und bereits existente Infrastruktur aufbauen könnte. Besonders spannend wäre es, hätte die Strecke noch einen ideellen Mehrwert. Etwas Grenzüberschreitendes, Geschichte-Überwindendes.

Sobald Sie das alles auf Ihr Reißbrett gezeichnet hätten, würden Sie feststellen: Diese perfekte Zugstrecke gibt es bereits. Sie heißt Wien–Bratislava und bewährt sich bereits im wirklichen Alltag. 1,7 Millionen Fahrgäste fahren jedes Jahr zwischen den beiden Städten hin und her.

Sie sind Putzfrauen und Managerinnen, IT-Spezialisten und Bäckereiangestellte, Touristen, Sporttrainer, Pflegerinnen und Partykids. Sie tragen Erfahrungen, Waren, Know-how, Gefühle, Programme, Werkzeuge und Beziehungen hin und her und flechten damit jeden Tag an einem wertvollen Netz, das Europa ökonomisch und emotional zusammenhält.

Für eine Bahngesellschaft ist so eine Strecke ein Geschenk: profitabel, beliebt, zukunftsträchtig. Da könnte man eigentlich erwarten, dass die ÖBB alles tun, um ihre Kunden zu verwöhnen und ihr Angebot auszubauen. Weil, ökonomisch gesehen, riesige Nachfrage herrscht! Weil, ökologisch gesehen, Bahnfahren super ist! Weil, infrastrukturell gesehen, hier eine dynamische Region wächst!

Aber so ist es leider nicht. Auch im Jahr 23 nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs fährt die Bahn zwischen Wien und dem Hauptbahnhof von Bratislava nicht mit elektrischem Strom, sondern mit brummendem Diesel. Nicht zweigleisig – wie zu Zeiten der k. u. k. Monarchie –, sondern eingleisig. Nicht immer schneller, sondern immer langsamer (vor zwei Jahren betrug die Fahrzeit 60 Minuten, heute sind es 72). Nicht mit modernen Intercityzügen, sondern mit Nahverkehrswaggons. Ohne erste Klasse. Ohne Klapptische, um zu lesen und zu arbeiten. Sind doch alles eh bloß Putzfrauen und Managerinnen, IT-Spezialisten und Bäckereiangestellte, Touristen, Sporttrainer, Pflegerinnen und Partykids.

Vergangenes Jahr hat die ÖBB die Verbindung Wien–Bratislava neckisch „Bratislover“ getauft und stolz verkündet, heuer mit dem zweigleisigen Ausbau und der Elektrifizierung zu beginnen. Schon bald, lautete das Versprechen, würde man mit 160 km/h über die weite Ebene des Marchfelds düsen können.

Jetzt, mit dem Sparpaket, wird das Vorhaben auf unbestimmte Zeit verschoben. Stattdessen soll, gleich neben der Bahntrasse, die neue Marchfeld-Schnellstraße gebaut werden, und das Sparpaket scheint an diesen Plänen nichts zu ändern. Dann kann man, statt mit dem Zug, 160 mit dem Auto fahren.

Angenommen, Sie wären Budgetexperte und müssten erklären, wie dummes, sinnloses, kontraproduktives, umweltschädliches Sparen ausschaut. Auch da würden Sie zwischen Wien und Bratislava fündig.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.02.2012)

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