"Bürgerwehren" im Burgenland: Die Angst geht um in Ostösterreich

Der EU-Wahlkampf geht konsequent an den wichtigen Themen vorbei. Probleme wie die zunehmende Angst vor Kriminalität werden nicht angesprochen.

Ein beschauliches Dorf im nördlichen Burgenland: Eine alte Dame sitzt nachmittags vor dem Fernseher. Nach einer Weile geht sie in die Küche und erschrickt: Die Spardose ist weg. Während sie im Wohnzimmer nebenan saß, war offenbar ein Einbrecher im Haus gewesen. Ein anderer Nachmittag, im selben Dorf: Eine junge Frau kehrt von der Arbeit nach Hause und sieht einen fremden Mann über die Terrassentür flüchten. Die Dorfbewohner berichten, dass die Einbrecher immer dreister werden, seit vor zwei Jahren das Bundesheer abgezogen sei. Damals seien zu jeder Tages- und Nachtzeit Soldaten unterwegs gewesen. Nun hat man auch noch den Polizeiposten gesperrt. Die Angst geht um, dass es noch ärger wird.

Wie kein anderes Bundesland hat das Burgenland die Auswirkungen des Falls des Eisernen Vorhanges, des EU-Beitritts Österreichs und dann jenen der Nachbarländer vor zehn Jahren zu spüren bekommen. Zuerst atmete man erleichtert auf. Das Burgenland war Profiteur der EU, hoch subventioniertes Ziel-1-Gebiet. Auch durch den EU-Beitritt der Nachbarländer profitierte es stark: Die Nachbarn kauften kräftig ein und standen als billige Arbeitskräfte zur Verfügung.

Doch bald bemerkte man die Kehrseite: Konnte man vor der Grenzöffnung noch Haustüren und Autos unversperrt lassen, ist heute das bescheidenste Häuschen und das unscheinbarste Fahrrad nicht mehr sicher.

Landeshauptmann Hans Niessl spricht davon, dass 2013 das „subjektive Sicherheitsgefühl der Burgenländer gestiegen“ sei. An Medien wird ausgegeben, dass die Kriminalität im Lande gesunken sei, die Bedrohung also nicht real sei, sondern nur in den Köpfen stattfinde. Schaut man sich die Statistik jedoch genauer an, so ist die Zahl der Einbrüche in Häuser und Wohnungen im vorigen Jahr im Burgenland um 65 Prozent, die Zahl der Autodiebstähle um 42 Prozent gestiegen – ausgehend von einem hohen Niveau!

Kriminalitätsstatistiken werden also uminterpretiert und reale Bedrohungen und Ängste zu Hirngespinsten erklärt. Leider machen dabei etliche Medien bereitwillig mit, wie kürzlich in der „ZiB“ eindrucksvoll demonstriert.

Als Gegenmaßnahme hat das Burgenland eine (EU-geförderte) „Sicherheitsstrategie“ ausgearbeitet, die vor allem auf Workshops in Schulen und Förderung des ehrenamtlichen Engagements hinausläuft, von der Feuerwehr bis zu „Bürgerwehren“, die natürlich nicht so bezeichnet werden. Man setzt auf die Selbstverteidigung der Bürger: eine Bankrotterklärung der Politik, denn Sicherheit ist ein zentrales Grundbedürfnis der Bürger und fällt in die Aufgabe des Staates!

Die Bürger haben erlebt, dass mit jedem weiteren Schritt zur EU ihre persönliche Sicherheit immer mehr bedroht wurde. Sie haben das Gefühl, dass man sie mit ihrem Bedürfnis nach Sicherheit nicht ernst nimmt und im Stich lässt. Und das betrifft nicht nur die Burgenländer. Im Osten Österreichs kennt wohl jeder jemanden in seiner unmittelbaren Umgebung, der Opfer eines Einbruchs oder größeren Diebstahls wurde, oder war es gar selbst schon. Der Aufruf der Exekutive, auf sein Eigentum selbst achtzugeben, ist ein Hohn.

Mittlerweile lassen sich Einbrecher nicht einmal von Alarmanlagen abschrecken. Autos werden aus versperrten Garagen gestohlen, die Täter werden immer gewaltbereiter.

Es ist also hoch an der Zeit, das Thema nicht als Panikmache des Boulevards oder einer politischen Partei abzutun, sondern als legitimes Anliegen der Bürger ernst zu nehmen. Damit gehört es unbedingt in den EU-Wahlkampf, denn wir haben ein Recht zu erfahren, was die Kandidaten und Parteien dazu zu sagen haben.

Uns interessiert nicht, welche Gefühle die Bewerber im Kopf und im Herzen tragen. Das ist eine Verhöhnung der Wählerinnen und Wähler. Solange man die echten Probleme nicht beim Namen nennt und die EU weiterhin als Wohlfühlprojekt vermarktet, fördert man jene Kräfte, die die EU insgesamt ablehnen.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Dr. Gudula
Walterskirchen ist Historikerin und
Publizistin. Sie war bis 2005 Redakteurin der „Presse“, ist seither freie Journalistin und Autorin zahlreicher Bücher mit historischem Schwerpunkt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2014)

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