Die Familiengründung und das Dilemma vom richtigen Zeitpunkt

Die Debatte um Social Freezing, das Einfrieren von Eizellen, zeigt auf, zu welchen Auswüchsen die Optimierung von Lebensentwürfen führen kann.

Die Nachricht, dass zwei amerikanische Großkonzerne ihren Mitarbeiterinnen das Einfrieren ihrer Eizellen bezahlen, hat in Europa Empörung, aber auch Zustimmung ausgelöst. „Dekadent“, sagen die einen, „Befreiung der Frau“, meinen die anderen. Das Motiv der Konzerne besteht darin, dass die jungen Frauen voll für die Firma verfügbar sein und erst später, wenn sie über 40sind, Mütter werden sollen. Die Methode des Einfrierens von Eizellen, die ursprünglich für schwer kranke Frauen gedacht war, wird übrigens auch in Österreich angeboten. Rein rechtlich ist Social Freezing hierzulande verboten.

Die Empörung von Politik sowie Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern in Österreich ist dennoch scheinheilig. Von allen Seiten wird ständig getrommelt, wie schädlich Kinder für die Karrierechancen von Frauen seien, wie schwierig der Wiedereinstieg. Vereinbarkeit wird stets so gedeutet, dass Kinder möglichst früh und ganztags fremdbetreut werden sollen, damit die Mutter in Vollzeit arbeiten kann.

Der gesellschaftliche Druck ist enorm: Zuerst sollen junge Frauen verhüten, um ihre Familienplanung aufzuschieben. Wenn sie Kinder haben, wird erwartet, dass sie beides vereinbaren können. Verzichten sie zugunsten des Berufs auf Kinder, werden sie als Karrieristinnen schief angeschaut. Immer mehr Frauen verschieben den Kinderwunsch auf spätere Jahre, wenn sie beruflich etabliert sind oder den richtigen Partner gefunden haben.

Bloß gelingt dies dann auf natürlichem Weg nicht mehr so einfach. Also pilgern sie zum Reproduktionsmediziner, der sein ganzes Arsenal an künstlichen Befruchtungsmethoden auffahren lässt. Allerdings sind die Erfolgschancen relativ gering, je älter, desto schlechter. Rein medizinisch gesehen ist es also höchst verantwortungslos, Frauen zu suggerieren, sie könnten den Kinderwunsch einfach aufschieben. Dazu kommt eine Reihe von ethischen Bedenken und Problemen, wie etwa jene der „überzähligen“ Embryonen bei der In-vitro-Fertilisation.

Doch wann ist er, der „richtige Zeitpunkt“ für ein Kind? Da ist zuerst die lange Ausbildungszeit, dann will die Frau im Beruf Fuß fassen. Dann ist sie endlich dort angekommen, wo sie hinwollte, das will sie nicht so einfach aufgeben. Wenn sich dann eine gewisse Eintönigkeit oder Frust einstellt, ist es oft zu spät. Die Möglichkeiten der Fortpflanzungsmedizin erhöhen den Druck auf Frauen abzuwarten. Sie verleiten jene, die noch nicht den „idealen“ Partner, noch nicht die „ausreichende“ finanzielle Sicherheit, noch nicht das familiengerechte Haus, noch nicht die „idealen“ Rahmenbedingungen haben, das Wunschkind aufzuschieben.

Und wenn sie noch so lang warten: Es gibt die „idealen“ Bedingungen für eine Familiengründung nicht, und wenn vielleicht doch, dann ist es oft zu spät. Arbeitet man hingegen mit der Biologie statt gegen sie, spart dies nicht nur viel Aufwand und Geld, sondern auch viel Leid. Denn das Leid derer, bei denen es nicht klappt, ist enorm.

Der Denkfehler der Politik liegt in der Reihenfolge: Wieso lässt man Frauen und Männer sich nicht zuerst auf ihre Familienphase konzentrieren? Es handelt sich ohnehin nur um ein paar Jahre, in denen Eltern unersetzbar für ihre Kinder sind. Im Gegenzug verlängert sich die Berufsphase derzeit erheblich, Arbeiten bis 67 oder darüber hinaus wird wohl der Regelfall werden. Da bleiben immer noch Jahrzehnte übrig, in denen sich Eltern weitgehend frei von Betreuungspflichten voll ihrer Berufstätigkeit widmen können. Das wäre viel einfacher und für alle Beteiligten entspannter. Dazu braucht es allerdings mehr Anerkennung der Familienarbeit in der Gesellschaft, volle Akzeptanz der Arbeitgeber, mehr Teilzeitjobs und leichteren Wiedereinstieg sowie insgesamt eine positive Einstellung zum Kinderwunsch. Die Schwangerschaft einer Mitarbeiterin darf nicht länger als Katastrophe angesehen und zum sicheren Karrierekiller werden. Ewiges Aufschieben ist sicher keine Lösung.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.10.2014)

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