Wer macht die Gesetze? Über die Selbstausschaltung des Parlaments

Bisher wurden Abgeordnete durch EU-Vorgaben und Vorlagen von Ministerbüros gesteuert. Immer mehr aber konterkarieren die Gerichte politische Kompromisse.

Seit Jahrzehnten ist es in Österreich üblich, dass nicht Parlamentarier, sondern Beamte und Ministerbüros Gesetze produzieren. Nach dem Beschluss im Ministerrat werden sie dann von den Abgeordneten der Regierungsparteien abgenickt. Mit dem EU-Beitritt hat Österreich Souveränität abgegeben, weil seither Vorgaben aus Brüssel umgesetzt werden müssen. Vor allem die Wirtschaftspolitik wird inzwischen vorwiegend in Brüssel, nicht in Wien gemacht.

Nun ist auch die Gesellschaftspolitik nicht mehr Ergebnis politischer Kompromisse gewählter Parteienvertreter, sondern der Urteile eines Gerichts in Straßburg – des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Jüngstes Beispiel ist das Adoptionsrecht, das laut Entscheid des österreichischen Verfassungsgerichtshofs (VfGH) nun auch Homosexuellen zugestanden werden muss. Da die Europäische Menschenrechtskonvention vom Parlament selbst in den Verfassungsrang erhoben wurde, prüft der VfGH auch danach und orientiert sich damit an der Rechtsprechung des EGMR.

Allerdings ist dessen anfänglich eher grundsätzliche Spruchpraxis immer einengender geworden. Somit wird der Spielraum für den demokratisch legitimierten Gesetzgeber immer kleiner, Kompromisse und Differenzierungen sind kaum noch möglich. So nimmt das Gericht Österreich noch mehr an Souveränität. Vieles, was politisch zuvor ausgehandelt wurde, ist somit hinfällig.

Doch es ist nicht der VfGH, der nun Politik macht, sondern Verursacher ist das Parlament selbst: Einerseits sind Gesetze oft schlecht gemacht, andererseits hat es viele Bestimmungen in den Verfassungsrang gehoben und sich so selbst die Handlungsvollmacht genommen.

Als ob das alles nicht schon demokratiefeindlich und für die Abgeordneten beschämend genug wäre, lässt sich der Nationalrat auch noch von Lobbyisten benützen. Aktuelles und unrühmliches Beispiel dafür ist das Fortpflanzungsmedizingesetz, das am Mittwoch im Parlament beschlossen werden soll – nach dem üblichen Muster. Auch diese Novelle wurde nach einem Urteil des EGMR notwendig. Die Entstehungsgeschichte dieser Gesetzesnovelle ist ein neuer Tiefststand in Österreichs Demokratiegeschichte! Den Gesetzesentwurf dazu haben keineswegs die Gesundheitsministerin und der Justizminister erarbeitet, sondern Lobbyisten der Fortpflanzungsmedizin. Dass hier ein massiver Interessenkonflikt besteht, wurde ignoriert.

Zum politischen Skandal wird die Sache, weil die Minister den Entwurf nicht nur unkritisch übernahmen und in den Ministerrat einbrachten, sondern auch, weil bewusst eine öffentliche Debatte verhindert wurde. Der Ministerratsbeschluss erfolgte nur wenige Wochen vor dem vom VfGH festgelegten letztmöglichen Termin. Die Begutachtungsfrist wurde auf zwei Wochen beschränkt, was sogar der Verfassungsdienst im Bundeskanzleramt als viel zu kurz kritisierte.

Jenen, die diese Ho-Ruck-Aktion kritisieren, wird entgegengehalten, dass der VfGH unter Berufung auf das Straßburger Urteil diese Novelle eingefordert habe. Es konnten sich aber weder die Bürger noch die Parlamentarier eine Meinung zu dem komplexen Thema bilden.

Zusätzlich wurden auf Betreiben der Lobbyisten Bestimmungen hineingepackt, die von Straßburg gar nicht verlangt wurden, etwa die Eizellspende.

Es ist ein passendes Bild, dass bald das Parlamentsgebäude geschlossen wird – wegen Sanierung. Wenn die Parlamentarier nicht rasch den Prozess der „Selbstausschaltung“ beenden, sich Kompetenzen zurückholen und sich nicht weiter von Brüssel, Straßburg und Lobbyisten das Heft des Handelns aus der Hand nehmen lassen, dann braucht man es gar nicht erst wieder aufzusperren.

Ein paar Tipps dazu: neue Gesetze gründlicher überlegen, etliche Gesetze aus dem Verfassungsrang nehmen und Lobbyisten keinen direkten Einfluss auf Gesetze gewähren.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2015)

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