Wenn die Parteien viel wichtiger sind als ihre Repräsentanten

Das bisherige Wahlrecht verhindert das Hochkommen großer Persönlichkeiten. Es bildet nicht die Realität der Bürger ab, sondern begünstigt die alten Stände.

Er gilt bis heute als die herausragendste Persönlichkeit der Sozialdemokratie, und er war der erfolgreichste Politiker der SPÖ in der Zweiten Republik. Als der junge Bruno Kreisky jedoch 1946, kurz nach seiner Rückkehr aus dem schwedischen Exil, in die Politik einsteigen wollte, lehnte man dankend ab.

Nicht, dass ihn seine Parteigenossen für ungeeignet befunden hätten, im Gegenteil. Aber man wollte erstens keine Remigranten und zweitens keine „Judenpartei“ sein. Trotzdem gelang es Kreisky, politisch Karriere zu machen. Erst 1956 – er war bereits Staatssekretär – erhielt er erstmals einen Listenplatz. Der St. Pöltener Bürgermeister verzichtete zu seinen Gunsten auf sein Nationalratsmandat. Die Wiener SPÖ, sein Heimatwahlkreis, wollte ihn nicht.

Hätte Kreisky damals nicht andere Förderer gehabt und wäre er auf das normale Procedere angewiesen gewesen, hätte er für seine Partei niemals den Bundeskanzler erobern können. Kreisky ist kein Einzelfall, sondern er steht stellvertretend für viele andere, die von den „Parteifreunden“ verhindert wurden. Starke Persönlichkeiten sind in Parteien nicht gerne gesehen. Sie sind nicht so leicht steuerbar, ordnen sich ungern der Parteidisziplin unter und entfachen den Neid der anderen.

Blickt man heute auf das Regierungsteam, fällt auf, dass die von Bürgern als die beliebtesten und fähigsten eingestuften Minister ihr Amt nicht mächtigen Bünden oder Interessenvertretungen zu verdanken haben, sondern ihrer Persönlichkeit und Kompetenz. Man denke nur an die Minister Kurz und Schelling. Sie zeigen (noch?) Ecken, Kanten und Mut. Doch die beiden sind Ausnahmen. Die Mehrheit der Spitzenfunktionäre wurden weichgespült und glattgebürstet während ihres Aufstiegs durch die Parteihierarchie. Das Ergebnis ist der Siegeszug des Mittelmaßes und jener, die nirgends anecken.

Zusätzlich achten diverse Bünde und Interessenvertretungen eifersüchtig darauf, dass sie im internen Machtkampf und bei der Mandatsverteilung optimal aussteigen. Dass dies die realen Verhältnisse im Land längst nicht mehr widerspiegelt, zeigt sich an den Mandataren, die an wählbare Stelle gereiht werden.

Ein Beispiel: Der Anteil der Bauern beträgt heute drei Prozent an der Gesamtbevölkerung; in den Reihen der ÖVP-Abgeordneten zum Nationalrat aber beträgt ihr Anteil 25 Prozent. Bei der SPÖ wiederum sind die Gewerkschaften überrepräsentiert, als ob sozialdemokratische Wähler noch immer allesamt Industriearbeiter wären. Im Gegenzug sind etwa neue Selbstständige bei den Großparteien kaum bis gar nicht vertreten. Dass solche Listenerstellungen den Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts nicht genügen, ist evident. Mit „repräsentativer“ Demokratie jedenfalls hat das nicht mehr viel zu tun.

Bisher wurde jemand in ein wichtiges Amt und eine politische Funktion berufen, weil die Partei es so entschied. Immerhin darf seit einigen Jahren der Wähler eine Reihung auf Wahllisten mittels Vorzugsstimmen vornehmen. Doch ist diese nicht bindend – und immer wieder werden Kandidaten trotz Vorzugsstimmen bei der Vergabe von Mandaten negiert. Am weitesten gediehen ist dieses System in Vorarlberg, wo die Wähler bei der letzten Landtagswahl mittels mehrerer Stimmen gewichten konnten.

Ein echtes Persönlichkeitswahlrecht hätte den Vorteil, dass Kandidaten nicht mehr durch die Gnade der Partei, einer Kammer, einer Gewerkschaft oder eines Bundes zum Zug kommen, sondern weil sie das Vertrauen der Wähler gewonnen haben. Sie wären also nicht in erster Linie der Partei verpflichtet, sondern den Bürgern, die sie gewählt haben. Dies wäre dann ihre eigentliche Machtbasis und nicht die „Hausmacht“ in einer Partei. Und das würde den Fokus endlich in die richtige Richtung lenken: zu den Anliegen der Bürger.

Wählerzustimmung sollte nicht mehr durch teure und fragwürdige Wahlzuckerl erkauft, sondern von jedem einzelnen Kandidaten erarbeitet werden müssen.

E-Mails an:debatte@diepresse.comZur Autorin:

Dr. Gudula
Walterskirchen ist Historikerin und
Publizistin. Sie war bis 2005 Redakteurin der „Presse“, ist seither freie Journalistin und Autorin zahlreicher Bücher mit historischem Schwerpunkt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2015)

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