Fragwürdige Strategie der ÖBB-Verkehrspolitik

Neu sanierte Bahnhöfe, die nicht benutzt werden, und die Verlagerung von der Schiene auf die Straße: Was soll das?

In den vergangenen Jahren investierten die ÖBB Milliarden in die Infrastruktur, finanziert vor allem vom Steuerzahler. Etliches davon führte für die Kunden zu deutlichen Verbesserungen: Modernere und schnellere Züge und sanierte Bahnhöfe machen, zumindest auf den Hauptstrecken, das Bahnfahren zur echten Alternative zum Auto. Einige Bahnhofsumbauten sind besonders gut gelungen, etwa jene in Salzburg.

In Wien allerdings rätselt man als Steuerzahler und Bahnkunde, was man sich mit der Neustrukturierung der Bahnhöfe bei den ÖBB gedacht hat: Da wurde der Westbahnhof aufwendig und teuer saniert und ausgebaut, um ihn seit Dezember kaum mehr zu nutzen. Verloren stehen ein, zwei Regionalzüge auf den Gleisen sowie eine Garnitur der Westbahn. In der Halle gähnende Leere, ebenso in den Geschäften. Dabei verfügt dieser Bahnhof über zwei U-Bahn-Anschlüsse und versorgte den gesamten Westen Wiens. (Fern-)Reisende, die dorthin wollen, haben nun eine wesentlich längere Reisezeit als früher.

Alles fährt nun den neuen Hauptbahnhof an, dessen einziger U-Bahn-Zugang mindestens eine Viertelstunde Fußmarsch entfernt liegt. Aufgewertet wurde der Meidlinger Bahnhof, der dem neuen Ansturm nicht gewachsen ist und dessen Anbindung keinesfalls optimal ist. Einladend ist er auch nicht.

Noch unverständlicher ist die Strategie der ÖBB beim Güterverkehr und dem Verhältnis von Schiene zu Straße. Eigentlich sollte es ein Ziel sein, den Güterverkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Was tun die ÖBB? Sie schaffen sich eine immer größere Lkw-Flotte an und betreiben Preisdumping mit den privaten Frächtern. Das Fazit: Immer mehr Güter werden auf der Straße transportiert. Ähnliches hat man nun mit dem Personenverkehr vor, bei dem man sich auch noch selbst Konkurrenz macht: Die ÖBB wollen groß in das Geschäft mit den Fernbussen einsteigen. Man verlagert also Passagiere von der Bahn auf die Straße.

Konkret sieht das so aus, dass man etwa in den Ausbau der Schienenstrecke nach Graz Milliarden samt Semmering-Basistunnel investiert, obwohl diese Strecke schon jetzt von Bahnkunden nur mäßig genutzt wird und vor allem junge Leute lieber mit den billigeren Fernbussen reisen. Nun wollen auch die ÖBB zusätzlich Fernbusse einsetzen, damit noch weniger mit der Bahn reisen? Dann können wir uns den teuren Tunnel gleich sparen.

Das Thema Umweltschutz spielt nicht nur bei den Schadstoffen, sondern auch beim Lärm offenbar nur eine untergeordnete Rolle, die Strategie ist dabei ebenfalls oft nicht nachvollziehbar, so sie überhaupt vorhanden ist. Eines der Argumente für den Wienerwaldtunnel war, dass man den lauten Güterverkehr unter die Erde verlegen würde. Mitnichten. Kurzfristig wurde dieser zwar tatsächlich weniger, doch seit der Eröffnung des Hauptbahnhofes stieg er aus nicht nachvollziehbaren Gründen wieder enorm an. Seitdem fahren die Güterzüge auch nachts wieder mitten durch dicht besiedeltes Gebiet, teilweise völlig ohne Lärmschutz, wenige Meter von Wohnhäusern entfernt.

Das Argument von Rail Cargo, viele Loks seien für den Tunnel nicht gerüstet, kann nicht deren Ernst sein. Immerhin hat der Tunnel 2,8 Mrd. Euro gekostet. Zeitgleich wird nächstes Jahr die Güterzugumfahrung St.Pölten fertiggestellt, ein 855-Millionen-Euro-Projekt. Für die Bewohner eine große Entlastung, aber wozu man zwischen Autobahn und Schiene meterhohe Lärmschutzwände über viele Kilometer gebaut hat, ist nicht logisch nachvollziehbar.

Apropos Logik: Warum die ÖBB seit Jahren von Gewinnen sprechen, ist ebenfalls nicht nachvollziehbar. Es stimmt zwar, dass man aus dem Minus der Vergangenheit herausgekommen ist, Grund zum Jubeln ist das aber noch lange nicht. Im Jahr 2015 erwirtschaftete man 193 Millionen Euro, vom Steuerzahler erhielt man hingegen 2,75 Milliarden an Subventionen. Auch der Rechnungshof hat in der Vergangenheit einige Mängel bei der Strategie hart kritisiert. Beeindruckt hat das bei den ÖBB offenbar niemanden.

E-Mails an:debatte@diepresse.comZur Autorin:

Dr. Gudula
Walterskirchen ist Historikerin und
Publizistin. Sie war bis 2005 Redakteurin der „Presse“, ist seither freie Journalistin und Autorin zahlreicher Bücher mit historischem Schwerpunkt.

www.walterskirchen.cc

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.06.2016)

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