Weniger Macht dem Präsidenten, mehr Mitsprache für die Bürger

Der vergangene, überlange Wahlkampf hat deutlich gemacht, dass es höchste Zeit wäre, die Machtbefugnisse des Bundespräsidenten zu überdenken.

Hoffentlich ist es jetzt endlich überstanden, und das war der letzte Durchgang der Bundespräsidentenwahl. Viele Bürger haben sich in den vergangenen Wochen so weit wie möglich aus dem Wahlkampf ausgeklinkt. Man war der „Duelle“– was für ein grässliches Wort, wieso nicht „Diskussionen“? – überdrüssig, konnte die ewig gleichen Phrasen und steigenden Aggressionen der Kandidaten – oder besser: „Kontrahenten“ – nicht mehr ertragen. Es war nur noch grotesk, als es dann um „Lügen“-Vorwürfe, die Zahl versandter E-Mails oder die Biografie des Großvaters ging.

Auffallend war neben der Überlänge des Wahlkampfs, dass erstmals in der Zweiten Republik einige Kandidaten mit dem Vorhaben Wahlwerbung betrieben, sich als Amtsinhaber über demokratische Entscheidungen hinwegzusetzen. Zwei von ihnen hatten angekündigt, nach Gutdünken die gewählte Regierung abberufen zu wollen. Wenn also eine Entscheidung, ein Gesetzesvorhaben oder eine Themensetzung dem Präsidenten nicht passe, dann sei diese nichtig.

Ein anderer Bewerber hatte ganz selbstverständlich und im Bewusstsein der moralischen Überlegenheit kundgetan, den Kandidaten der stimmenstärksten Partei bei der nächsten Wahl nicht, wie bisher Usus, mit der Regierungsbildung beauftragen zu wollen; jenen der FPÖ schloss er von vornherein aus. Und er hat anklingen lassen, in diesem Fall neu wählen zu lassen. Selbst wenn er diese Ankündigungen später abgeschwächt hatte, ist der Ansatz bemerkenswert. Der Wählerwille zählt offenbar nicht: „Ihr wollt diese Partei in der Regierung sehen? Das könnt ihr vergessen . . .“

Diese Ansinnen der Kandidaten, von denen einer als Bundespräsident angelobt werden wird, sind von der Verfassung gedeckt. Der Bundespräsident ist nicht verpflichtet, den Kandidaten der stimmenstärksten Partei zu beauftragen, er hat Handlungsspielraum. Und der Präsident hat die Befugnis, den Kanzler oder die Regierung sogar ohne Nennung von Gründen zu entlassen. Er kann auch – auf Vorschlag des Kanzlers – den Nationalrat auflösen. In der Zweiten Republik war es trotz der weitreichenden Machtbefugnisse jedoch Usus, dass der Bundespräsident seine Macht und Möglichkeiten nicht ausreizte, dass er sich im Hintergrund hielt. Thomas Klestil etwa hatte erst als der Erstplatzierte keine Regierung zustande brachte – zähneknirschend – letztlich den Drittplatzierten mit der Bildung einer Regierung beauftragt. Vielmehr bauten die Präsidenten auf ihre Wirkung als moralische Instanz, ohne gleich die verfassungsrechtlichen Karten zu zücken.

Nun scheint diese Gepflogenheit nicht mehr zu gelten. Das ist ein Grund, sich die Verfassung, die aus dem Jahr 1929 stammt, in dieser Hinsicht gründlich vorzunehmen. Im Zuge des Wahlkampfes wurde von einigen Parteienvertretern und sogar von einem Kandidaten selbst vorgeschlagen, die Macht des Bundespräsidenten einzuschränken und neu zu definieren. ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka hat dazu eine parlamentarische Enquete angeregt. Ein guter Ansatz für eine tiefgründige Diskussion, gleichgültig, wer es letztlich ins Präsidentenamt schafft.

Die richtige Machtbalance ist eine heikle Angelegenheit und muss in einer lebendigen Demokratie immer wieder neu überdacht werden. Nicht vergessen werden sollte dabei auch, die Stärkung der direkten Demokratie mitzubedenken. Der Wählerwille, der ohnehin durch die Parteiendemokratie eingeschränkt ist, sollte stärker berücksichtigt werden. Die Einführung eines Persönlichkeitswahlrechts gehört im weitesten Sinne dazu.

Das soll nicht bedeuten, dass das Volk über alles und jedes direkt abzustimmen hätte. So etwa ist der Freihandelsvertrag TTIP sicher ein schlechtes Beispiel, da es Experten braucht, um die ganze Thematik zu durchschauen. Aber es gibt genügend andere Beispiele, wo dies sinnvoll, ja notwendig wäre. Die Verfassung ist eines davon.

E-Mails an:debatte@diepresse.comZur Autorin:

Dr. Gudula
Walterskirchen ist Historikerin und
Publizistin. Sie war bis 2005 Redakteurin der „Presse“, ist seither freie Journalistin und Autorin zahlreicher Bücher mit historischem Schwerpunkt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.12.2016)

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