Der Mangel an Toleranz und das "Anstößige" am Christentum

Verfolgte Christen. Weltweit werden Gläubige diskriminiert. Nur langsam wird die Unterdrückung der Religionsfreiheit auch zum Thema der Politik.

Toleranz? Dieser Begriff wurde von der Kirche einst unter Verdacht gestellt. Seit der Konstantinischen Wende hatte die Kirche immer wieder versucht, ihre Meinung auch mit Machtmitteln durchzusetzen: Nur die „Wahrheit“, nicht der „Irrtum“ dürfe verbreitet werden. Erst 1965 bekannte sich das Konzil zur Religionsfreiheit.

Wer heute die Christenverfolgungen, vor allem im Nahen und Fernen Osten, beklagt, sollte an diesen Lernprozess denken. Dabei ist Toleranz nicht bloß die Duldung von Menschen, die man als „fremd“ und „nicht zugehörig“ betrachtet. Toleranz ist der Respekt vor der Überzeugung anderer. Ihr Menschenrecht auf freie Entscheidung über die eigene Weltanschauung beruht nach christlicher Auffassung auf der Gottesebenbildlichkeit jedes Menschen. Große Teile der Welt sind noch weit entfernt von einer so verstandenen Toleranz.

„Religion ist nichts Harmloses. Sie hat gewinnende und schreckliche Züge“, hat der Münchner Politikwissenschaftler Hans Maier einmal bemerkt. Religionsfreiheit ist eine Frucht der bitteren Erfahrung der Konfessionsspaltungen. Jeder Rückblick auf die Gewaltausübung im Namen Gottes ist furchtbar („Deus lo vult“).

Matussek und die Auferstehung

Behutsamer verhielten sich die Aufklärer vor mehr als 200 Jahren. Sie glaubten, die Friedensfähigkeit von Religionen dadurch herbeiführen zu können, dass sie Gott als ein allen gemeinsames „höheres Wesen“ verstanden und den Glauben auf die Privatheit beschränkten. Das wird für Christen nie akzeptabel sein.

Der „Spiegel“-Autor Matthias Matussek, ein kampfeslustiger Christ, fordert die Gläubigen auf, „für die Moderne ein Ärgernis zu bleiben“. Das ist mindestens missverständlich. „Aggiornamento“ der Kirche muss heißen, sich einzulassen auf die jeweilige Zeit und Kultur, alles andere wäre reaktionär.

Völlig daneben haut Matussek, wenn er die Auferstehung eine „wundervolle österliche Metapher“ nennt. Für Christen ist die Auferstehung real und der Beginn einer völlig verwandelten Geschichte. Für diesen „anstößigen“ Glauben – „den Juden ein Ärgernis, den Heiden eine Torheit“ – sind viele Christen bereit, ihr Leben zu geben.

Wie verhält sich nun der Wahrheitsanspruch von Offenbarungsreligionen zum weltanschaulichen Pluralismus von Gesellschaften? Das ist eine höchst politische Frage. Ein einprägsames Beispiel dafür bietet der verbissene Streit um den römischen Victoria-Altar im 4. Jahrhundert nach Christus.

Sollte die Obrigkeit Altar und Statue der Siegesgöttin aus dem Senatsgebäude entfernen? Nein, sagten die Anhänger des Staatskultes; angesichts der zunehmenden Barbareneinfälle sei man auf Victorias Beistand dringender angewiesen denn je. Doch, erwiderten die christlichen Senatoren, und Bischof Ambrosius von Mailand, ein enger Ratgeber des Kaisers, mahnte scharf, dass man nicht tolerant gegen die Feinde des wahren Glaubens sein dürfe.

Gegen alle Aufweichungen

Es war der letzte Höhepunkt in der geistigen Auseinandersetzung zwischen den Anhängern des alten Kults und den Vertretern eines Christentums, das bald selbst zur Staatsreligion werden sollte.

Berühmt wurde die Petition des heidnischen Stadtpräfekten Quintus Aurelius Symmachus an den in Mailand residierenden Kaiser. Darin bat er im Jahre 384, den Victoria-Altar in die Kurie zurückbringen zu dürfen, schließlich stünde hinter den verschiedenen Namen, die die Menschen den Göttern beilegten, ohnedies nur die eine Gottheit.

„Dieselben Sterne erblicken wir“, schrieb Symmachus, „der Himmel ist uns gemeinsam, dasselbe Weltall umgibt uns. Was liegt daran, auf welche Weise ein jeder die Wahrheit erforscht? Auf einem Weg allein kann man nicht ein solch erhabenes Mysterium erkennen.“

In genau dieser Argumentation sah Bischof Ambrosius einen Angriff auf die Fundamente des Glaubens. Denn mit Jesu‘ Tod und Auferstehung sei die Welt endgültig gerettet – eine heilsgeschichtliche Zäsur, durch nichts und niemanden relativierbar. Die Versuchung von Christen bestand immer darin, gegen Aufweichungen ihres Glaubens – seien es Synkretismus, Deismus oder Pantheismus – Machtmittel oder Exklusionsstrategien einzusetzen.

Unzählige Blutzeugnisse

Die Spannung zwischen dem christlichen Wahrheitsanspruch und der skeptischen Pilatusfrage „Was ist Wahrheit!?“ war von Anfang an unvermeidlich. „Wenn sie mich verfolgen, werden sie auch euch verfolgen“, sagte Jesus seinen Anhängern voraus. Die junge Kirche ist durch unzählige Blutzeugnisse groß geworden. Heute klingt das Wort „Christenverfolgung“ in europäischen Ohren altmodisch, wenn nicht legendenhaft. Wir leben ja nicht in Ländern wie Pakistan, Irak oder Nordkorea, wo Christen vertrieben, getötet oder „umerzogen“ werden.

Nur langsam wird die Unterdrückung der Religionsfreiheit in (zumeist islamisch geprägten) Ländern zum Thema der Politik. Bedurfte es dazu wirklich erst der verheerenden Bombenanschläge auf christliche Kirchen (Irak, Ägypten), gezielter Morde wie in Pakistan oder der Massenvertreibung von Christen, etwa im Bundesstaat Orissa (Indien)?

Inzwischen hat der französische Präsident Nicolas Sarkozy vor einer religiösen „Säuberung“ des Nahen Ostens gewarnt und die Opfer „Märtyrer“ genannt. Viele EU-Politiker fordern deutlicher als noch vor wenigen Jahren den Schutz der christlichen Minderheit. Auch die Türkei kommt unter (langsam) wachsenden Druck.

Religionsfreiheit ist eine der Grundlagen der politischen Freiheit schlechthin. Natürlich schützt die Meinungsfreiheit auch Religionskritik oder Satiren. Dagegen kann sich jeder, so intelligent wie möglich, wehren. Kein Grund, sich „verfolgt“ zu fühlen, als eine Art Begierde-Märtyrer zu imaginieren oder gar Zeiten nachzutrauern, da die Kirche Religionsfreiheit noch für eine Häresie gehalten hatte.

Wenig Empathie für Verfolgte

Doch so wenig der säkulare Staat voraussetzungslos und wertgleichgültig zu bestehen vermag, so wenig sollten die Nutznießer der westlichen Religionsfreiheit vergessen, wie viele Millionen Christen in anderen Teilen der Erde zu Opfern von Verfolgungen werden.

Mehr noch, das Mitgefühl sollte allen wegen ihres Glaubens Verfolgten gelten: Juden in Teilen der arabischen Welt (und jahrhundertelang im „christlichen Abendland“), Muslimen in Indien oder Westchina, Sunniten in den schiitisch dominierten Teilen des Irak, die Bahai im Iran usw. Die weitaus größte Gruppe sind allerdings Christen, auch wenn die Zahl von 100 Millionen Unterdrückten zu hoch gegriffen erscheint.

Wieso empfinden in dem – alles in allem – behaglichen Toleranzzustand des Westens Christen nur wenig Empathie für ihre bedrängten Glaubensbrüder? Erinnert das nicht an die Ölbergszene, als die Jünger trotz der Aufforderung ihres Meisters, mit ihm zu wachen, versagten?

Schläfrigkeit, Abstumpfung und Selbstgenügsamkeit sind allzu oft zum Kennzeichen europäischer Christen geworden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2011)

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