Stadtplan: Drogenkranke

Lieber Gas aus instabilen Weltgegenden als Wärme aus dem Tullnerfeld.

Ich bewohne eine Mietwohnung in einem Gründerzeithaus in Wien, das einem Immobilienfonds gehört. Bis vor Kurzem heizte ich mit Gas. Die Abhängigkeit von russischem Gas zu reduzieren wäre technisch wie wirtschaftlich in meinem Fall ganz einfach. Einerseits müsste das Haus dringend gedämmt werden. Mehr als zwei Drittel des zu Heizzwecken verbrauchten Gases ließen sich dadurch einsparen. Warum geschieht es nicht? Den Hauseigentümer zwingen keine Gesetze dazu, er selbst hat kein Interesse, und wir Mieter können allein nichts tun.

Eine zweite genauso einfache Maßnahme scheitert ebenfalls am Hauseigentümer: Der Anschluss an die Fernwärme. Zum Beispiel „heizt“ das Kraftwerk Dürnrohr im Tullnerfeld mit seiner Abwärme die Donau auf; allein damit könnten statt mit Gas ca. 100.000 Haushalte beheizt werden. Bis heute gibt es kein Konzept, eine Fernwärmeleitung von Dürnrohr nach Wien zu bauen.

Ebenso gibt es keinen politischen Plan, der Hauseigentümer zwingen könnte, Häuser optimal zu dämmen und den Rest nicht mit Gas, sondern mit Fernwärme abzudecken. Stattdessen handelt man wie ein Drogenkranker. Wenn der Stoff von einer Quelle nicht zu bekommen ist, versucht man eine andere anzuzapfen.

Also: Bau der Nabucco-Pipeline über tausende Kilometer. Fertigstellung und damit Gaslieferung: bestenfalls irgendwann im nächsten Jahrzehnt. Mitten aus politisch extrem instabilen Regionen. Kosten: horrend. Weg vom Stoff, daran denkt der Drogenkranke nicht. Darum ist die Nabucco-Pipeline „realistischer“ als eine Fernwärmeleitung über 40 Kilometer. Außerdem leidet der Drogenabhängige an Realitätsverlust. Warum soll Atomenergie, wie es jetzt vorgeschlagen wird, Gas ersetzen, um Millionen Wohnungen zu heizen? Ein optimal gedämmtes Haus kann kaum von Terroristen als Waffe umfunktioniert werden, auch ist es schwierig, aus Dämmplatten eine Atombombe (siehe Iran) zu basteln.

Unsere Gesellschaft und ihre Repräsentanten sind krankhaft drogenabhängig. Deswegen werden einfache Alternativen kaum umgesetzt. Putin gebührt Dank, uns das drastisch spüren zu lassen. Ich selbst habe zu Hause die drittbeste Alternative gewählt: Ein moderner Pelletofen wärmt behaglich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2009)

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