Am Herd

»Du hast doch gar keine weißen Haare«, sagt meine Freundin. »Habe ich doch«, sage ich, hebe meine Haare hoch und zeige ihr meine Schläfen. »Ist ja arg«, ruft sie.

brandheiss und
höchst persönlichAuch schon wieder ein paar Jahre her, dass ich das erste weiße Haar entdeckt habe: Marlene ging damals noch in den Kindergarten, es gab Läusealarm, oh Schreck. Erst kontrollierte ich panisch die Köpfe der Mädchen, dann juckte es mich selbst am ganzen Kopf, wie verrückt juckte es mich, und darum suchte ich im Spiegel am Fensterbrett den eigenen Ansatz nach Nissen ab. Da war es: das erste weiße Haar. Und gleich noch das zweite. Und das dritte und das vierte.

„Was schreibst du?“, fragt Töchterchen Hannah, die mittlerweile schon eine ausgewachsene Tochter ist. „Über graue Haare!“ – „Das verbiete ich dir!“ – „Das kannst du mir gar nicht verbieten“, sage ich: „Verbieten geht nur, wenn ich über dich schreibe.“ Aber Hannah findet, es geht sehr wohl um sie, sie mag keine alte Mutter haben. Wer zugibt, weiße Haare zu haben, ist alt.

Ob ich sie färben soll?


Eigentlich will ich nicht. Eigentlich will ich einmal so werden wie diese Diven mit den schlohweißen Mähnen. Oder wie diese aparten Erscheinungen mit den Dachs-Strähnen. Oder wie diese noch mit über sechzig burschikos wirkenden Frauen mit dem silbrigen Kurzhaarschnitt. Cool und stark und stilbewusst. Aber ob ich dafür der Typ bin? Und ob ich es bis dahin aushalte?

„Was schreibst du diesmal?“, fragt mein Mann. „Über graue Haare.“ – „Aber die sieht man bei dir doch eh nicht!“, sagt mein Mann. Mein Mann findet, dass ich heute schöner bin als mit Mitte 20, so viel zu seiner Objektivität.

Ich frage also die Friseurin meines Vertrauens. Sie rüttelt meine Haare durch und empfiehlt Strähnchen. Helle Strähnchen im dunkelblonden Haar, da fallen die weißen Haare gar nicht mehr weiter auf. Klingt plausibel, aber ich muss noch überlegen. Muss ich noch mit meiner Freundin besprechen.


Blond, rot, braun. „Kenn ich“, sagt meine Freundin, die so alt ist wie ich: „In meinen Zwanzigern habe ich mir die Haare dauernd gefärbt, blond und rot, einmal sogar blau, bis sie strohig waren und dünn, und jetzt, da ich vernünftig geworden bin, soll ich wieder damit anfangen? Aber wieso willst du eigentlich färben? Du hast doch kaum weiße Haare.“ „Habe ich doch“, sage ich, hebe meine Haare hoch und lasse sie einen Blick auf meine Schläfen werden. „Ist ja arg“, ruft sie.

Ja, ist arg, ich bin graumeliert wie einer dieser Männer im besten Alter, ich bin also eine Frau im besten Alter, die nicht weiß, was sie mit ihren Haaren machen soll, ich verschiebe die Entscheidung also einfach nach hinten – und bis dahin trage ich einfach keinen Zopf.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.09.2013)

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