Brandheiss und höchst persönlich

Auf Facebook suche ich nach einem alten Bekannten. Und dann steht da plötzlich ein Grabstein in seiner Chronik.

Eigentlich bin ich keine exzessive Nutzerin von Facebook. Das hängt damit zusammen, dass jene Freundin, die mich darauf aufmerksam gemacht hat, dass es so etwas wie Facebook überhaupt gibt, über eine Kollegin gesagt hat: „Stell dir vor, die hat nur 15 Freunde!“

Das war mir dann doch zu kompetitiv.

Trotzdem nutze ich Facebook: Ich suche dort nach alten Bekannten. Das ist nicht leicht, weil ich erstens vergesslich bin, zweitens Nachnamen für uns damals keine Bedeutung hatten und weil ich drittens vergesslich bin. Aber manchmal erfahre ich auf diese Weise, dass die Mitschülerin, deren Bruder ihr die Hausaufgabenhefte zerrissen hat, und das in einer Frequenz, die auch mich am Wahrheitsgehalt ihrer Angaben hat zweifeln lassen, heute Chefin einer Werbeagentur in Linz ist. Oder dass der Kellner, der von Neuseeland zurück nach Wien gezogen ist, um die Kinder seines verstorbenen Bruders großzuziehen, noch hier lebt.


Die alte Clique. Neulich bin ich auf einen alten Freund gestoßen, mit dem ich in Studententagen herumgezogen bin. Ich bin ein bisschen in ihn verliebt gewesen, er aber nicht in mich, weshalb ich mit einem anderen Burschen aus der Clique angebandelt habe, das sah ich nicht so tragisch. Sagt man das heute eigentlich noch? Clique?

Da stand ein Grabstein in seiner Chronik.

Es war ein schöner Grabstein, aus rosa Marmor, mit schwarzer Schrift. Er hatte 45 Likes. „R.I.P.“, hat einer darunter geschrieben. „Du fehlst mir“, ein anderer. Ich scrollte ein wenig hinunter zum Foto vom frischen Grab. Und noch weiter zur Ankündigung der Beisetzung. Und noch weiter zum Partezettel. Und schließlich zur formlosen Nachricht: Wie ihr vielleicht schon gehört habt, ist Dominik am Freitag gestorben. Dominik, wir wünschen dir eine gute Reise!

Woran er gestorben ist, stand da nicht.

Ich habe all die Beileidsbezeugungen gelesen. Ich habe mir die Fotos angesehen, die seine Freunde nach seinem Tod gepostet haben, um an ihn zu erinnern: Dominik beim Betriebsausflug in der Wachau. Dominik bei der Feier seines 40. Geburtstags. Dominik beim Klettern in irgendeiner Wand. Wäre er mir auf der Straße begegnet, ich hätte ihn vielleicht gar nicht erkannt. So mit Brille. Und mit den nachgedunkelten Haaren.

Sein Tod hat mich trotzdem erschüttert. Ich fand die Facebook-Seite schön. Würdig. Liebevoll.


Post scriptum. Dominik heißt natürlich nicht Dominik. Sein Grabstein ist nicht rosa. Ich weiß auch nicht, ob er jemals in der Wachau war. Ich habe ein bisschen etwas erfunden und viel weggelassen, um hier an ihn denken zu können, ohne jemandes Trauer zu stören. Lieber Dominik, der du nicht so heißt: Ich denk' an dich.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2013)

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