Gemeinheit ist geil

Gemeinheit ist geil. Und "nett" ist für uns ein Schimpfwort. Schlimmer ist nur "eh nett". Eine kleine Charakterkunde.

Sagen Sie doch einmal „nett“. Sagen Sie einmal zu jemandem, er sei „nett“, und beobachten Sie, was passiert. Im besten Fall schaut Ihr Gegenüber konsterniert und fragt nach: Wie war das jetzt gemeint? Im schlimmsten Fall zitiert er den Bestseller von Rebecca Niaza-Shahabi: „Nett ist die kleine Schwester von Scheiße“. Noch herablassender ist nur noch „eh nett“.

Nett sein ist heutzutage etwas für die Tschapperln. Für die Mädchen, die in der Schule Mutters eingegangene Blusen aufgetragen haben. Für die Buben, die beim Fußball immer nur im Tor gestanden sind und den ganzen Tag nicht bemerkt haben, dass auf ihrem Rücken ein Zettel pickt: „Ich bin blöd“. Gut, das war nicht besonders originell. Aber wir haben trotzdem sehr gelacht, weil wir so stolz darauf sind, nicht nett zu sein. Denn ehrlich: Nett ist man doch nur, wenn einem nichts anderes übrig bleibt.


Ausgebufft. Wir aber haben die Wahl. Und wir sind lieber raffiniert. Und ausgebufft. Mit allen Wassern gewaschen und von allen Musen geküsst. Deshalb müssen wir auch nicht fleißig sein. Fleiß ist etwas für die, die es eh nie schaffen werden, die sich immer nur bemühen. Er hat sich stets bemüht. Wie das schon klingt!

Wir schaffen aber alles. Weil wir begabt sind. Hochbegabt. Genial!

Das bedeutet nicht, dass wir unfreundlich wären, nur wissen wir eben unsere netten Gesten klar zu dosieren. Zu große Freundlichkeit könnte als Unterwürfigkeit aufgefasst werden. Und wir sind alles, nur nicht demütig. Wenn wir jemandem die Hand schütteln, ist unser Daumen oben. Uns hält man die Tür auf, wir haben es eilig. Und unser Aktenkoffer braucht im Zug natürlich einen eigenen Platz.

Wir sind die Chefs. Und wenn nicht, dann sollten wir es zumindest sein. Warum das nicht klappt, verstehen wir nicht. Wir haben oft genug bewiesen, dass alle anderen unfähig sind! Uninteressant. Nett halt.

Die Welt ist manchmal wirklich ungerecht.


Postskriptum.
Ich bin auch nicht immer nett. Vor ein paar Jahren hat ein Bub von der Rutsche aus Marlene und ihre Freundinnen mit Rindenmulch beschossen. Ich habe ihm gesagt, er solle aufhören. Er hat gesagt, ich sei nicht seine Mutter. Ich habe gefragt: „Wo ist deine Mutter?“ Er hat geantwortet: „Sag ich dir nicht.“ Darauf ich: „Du bist sicher eines von den Kindern, die in der Schule lauter Fünfer schreiben.“

Er hat sich sofort verzogen. Es ist nämlich so: Gemeinheit wirkt. Und zum Entschuldigen ist es dann manchmal zu spät.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.03.2014)

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