Würdevoll altern

Würdevoll altern, die Krankheit tapfer ertragen, anständig sterben. Aber was heißt das, und wozu soll es gut sein?

Am liebsten möchte ich in Italien sterben. Ich möchte mit Stephan den Strand entlangwandern, dort, wo die Wellen den hellen Sand dunkel färben, und dann einen Herzinfarkt haben, der mich in der Sekunde hinstreckt. Was Wunder: Ich bin 102!

Oder in einem Wiener Café. Ich trinke einen weißen Gspritzten und lese Douglas Adams, zum vierten Mal in meinem Leben, ich bin gerade beim Satz: „Don't panic“, dabei trifft mich der Schlag. Aus die Maus. Ich bin 107.

Oder in einem Spital. Ich muss operiert werden, irgendeine Kleinigkeit, vor der OP besuchen mich noch Hannah, Marlene, auch meine Enkel und Urenkel sind gekommen, aber dann wache ich aus der Narkose nicht mehr auf.

Wir wissen alle, dass es vermutlich nicht so kommt. Ich werde nicht so alt werden, und wenn doch, werde ich nicht reisen können, vielleicht sehe ich schon zu schlecht, um zu lesen. Ich werde vermutlich Schmerzen haben, werde desorientiert sein; kann sein, ich bin lange krank. Kann sein, ich werde Hilfe brauchen beim Sterben, jemanden, der mich mit Opiaten versorgt, mir eine dünnere Decke bringt, weil die andere mir zu schwer wird, der mir meine Mundhöhle mit einem Wattestäbchen befeuchtet und mir die Hand hält, wenn ich das mag.

Erst kämpfen, dann dulden. Alt werden – also richtig alt, so „Ich kann nicht mehr allein essen und höre Stimmen in der Nacht, weil mein Kreislauf nicht richtig mitspielt“-alt – ist schwer genug, da will ich nicht, dass man mir später Vorschriften macht. Und Vorschriften gibt es. Sie kommen nur versteckt als Lob daher. Man redet vom würdevollen Altern – und was man damit garantiert nicht meint, ist ein alter Mann, dessen Nasenhaare wuchern und der seiner Pflegerin auf den Busen starrt, oder eine alte Frau mit rissigen Strümpfen, in deren Wohnung es seltsam riecht und man wird den Verdacht nicht los, es ist Urin.

Man sagt, einer habe die Krankheit tapfer getragen, und das heißt oft, dass man tunlichst nicht angejammert werden will, man fürchtet die kreischende Verzweiflung. Man spricht vom guten, vom anständigen Sterben und meint damit, dass sich die Todgeweihten nicht ans Leben klammern sollen, dass sie friedlich einschlafen, was aber nicht heißt, dass von ihnen nicht vorher verlangt wurde, dass sie kämpfen, mit aller Kraft, solange die Ärzte noch eine Chance sehen.

Wir neigen dazu, das Leben immer vom Ende her zu betrachten, als sei es ein Roman. Als ginge es darum, dass es „gut ausgeht“. Aber wenn ich mir aussuchen müsste, wann in meinem Leben ich einsam bin und wann ich Schmerzen leide, wäre meine Wahl klar: kurz vor meinem Tod.

Dann muss ich mich anschließend nicht daran erinnern.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.08.2014)

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