Bub

Ich fand es toll, wenn man mich für einen Bub hielt. Darum trug ich kurze Haare und nie ein Kleid, darum fuhr ich mein Fahrrad zu Schrott und spielte im Hof Fußball.

Er hatte „Herr“ zu mir gesagt, dieser Kellner in dem feinen Lokal mit dem Silberbesteck und der handgeschriebenen Karte, in das ich meine Eltern begleiteten durfte. „Was will denn der junge Herr?“, hatte er mich gefragt! Und ich – gerade zwölf oder 13 Jahre alt – war stolz. Denn das hieß nicht nur, dass ich offenkundig kein Kind mehr war. Das bedeutete vor allem: kein Mädchen!

Ich fand es toll, wenn man mich für einen Bub hielt. Darum trug ich kurze Haare und nie ein Kleid, darum fuhr ich mein Fahrrad zu Schrott und spielte im Hof Fußball, auch wenn ich immer nur im Tor stehen durfte. Es störte mich nicht, wenn zu den Schrammen und blauen Flecken auf meinen Beinen noch eine Schramme und noch ein blauer Fleck dazukamen, denn das bewies nur: Ich war wild. Ich war mutig. Ich war nicht wehleidig.

Ich war „genau wie die Buben“.

Woher kommt das? Warum konnte ich kein „wildes Mädchen“ sein? War die rote Zora nicht tapfer? War Pippi Langstrumpf vielleicht männlich?


Verachtung. Diese seltsame Verachtung fürs eigene Geschlecht hat sich eine Weile gehalten. (Und ja, das ist Verachtung: Man muss sich nur fragen, wie viele Buben es gibt, die gern für ein Mädchen gehalten werden!). Während des Studiums und in den ersten Jahren meiner Berufstätigkeit hatte ich zwar immer eine „beste Freundin“. Aber davon abgesehen bevorzugte ich männlichen Umgang. Warum auch nicht? Die waren direkter – sagte ich mir. Die waren witziger – sagte ich mir. Und eigentlich war ich doch eher wie sie, die Männer. Ich konnte eine Menge trinken, noch mehr rauchen, stritt dabei heftig über Politik und hatte Dreck unter den Fingernägeln. Wenn ich meinen Argumenten Nachdruck verleihen wollte, haute ich auf den Tisch.

Klischees sind hartnäckig. Mittlerweile habe ich gelernt, wie paradox es ist, dass ich die Definition dessen, was „weiblich“ ist, so lange nicht infrage gestellt, sondern im Gegenteil: noch zementiert habe. Wie praktisch! Man stellt sich einfach außerhalb. Man sagt: So bin ich nicht! Ich will ohne Quote Karriere machen (im Gegensatz zu den anderen). Ich kriege keinen Schreikrampf, wenn das Kind einmal von der Rutsche fliegt. Nein, ich bin keine Helikoptermutter, Binnen-I-Verfechterin, Spielverderberin. Ich gehöre doch zu den coolen Kids!

So distanzieren wir uns. Weil wir nicht zu den „Schwachen“ gezählt werden wollen?

Ich habe heute viele Freundinnen. Die sind tough und scharf und diskutieren gern, die sind klar und offen und laut und zum Brüllen komisch, und am nächsten Tag räume ich (immer noch) die leeren Flaschen weg.

Ich denke, ich bin heute entspannter.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2014)

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