Die Kinder von heute sind besser als ihr Ruf

Und ihr Leben ist auch nicht die Hölle. Über die Panikmacher, die uns das Familienleben vermiesen.

Es schaut schlimm aus in unseren Klassenzimmern. Überforderte Lehrer ohne Autorität und Kinder, die mit Ringen unter den Augen und ohne Frühstück im Bauch dem Unterricht nicht folgen können und unter der Bank per Smartphone Böses über die Banknachbarin posten.

Es schaut schlimm aus in unseren Kinderzimmern: Die Regale quellen über vor Plastikspielzeug, an der Wand hängt ein Fernseher statt eines Kunstdrucks, und auf dem Nachtkastl liegt das Handy. Bücher? Fehlanzeige!

Es schaut schlimm aus in den Familien: Eltern, die nicht mit ihren Kindern reden, ja, es nicht einmal schaffen, sich einmal am Tag zum Abendessen mit ihnen an einen Tisch zu setzen, und Kinder, die keine Grenzen kennen und als kleine Tyrannen jene Aufmerksamkeit erzwingen, die ihnen abgeht.

So heißt es, so lesen wir: Viel läuft angeblich falsch, einmal sind die 68er daran schuld, dann die Lehrer, einmal die gestressten Karrieremamas und ein anders Mal die Helikoptermütter, die ihre Kinder nicht aus den Augen lassen und mitleidlos von Kurs zu Kurs schleifen.


Brave Kinder. Ich kenne das alles nicht. Niemanden, der seinen Nachwuchs Mandarin lernen lässt. Aber auch kein Kind, das nicht zumindest sämtliche Bände von „Gregs Tagebuch“ gelesen hätte. Ich sehe nirgendwo Tyrannen, höchstens hin und wieder ein trotzendes Kleinkind. Die Kinder, die uns besuchen, sind freundlich und höflich.

Die Schulen? Darüber kann ich nicht viel sagen, ich bin ja im Unterricht nicht dabei. Aber nach dem, was ich so höre beim Abendessen, geht es dort nicht wesentlich anders zu als bei mir damals – nur die Lehrer sind durchschnittlich netter. Und die Schüler sprechen besser Englisch.

Das ist meine Erfahrung. Ich habe davon nicht geschrieben, weil es ja sein könnte, dass ich in einer Blase lebe: in diesem Grätzel mit dem Montessori-Kindergarten und der netten Volksschule und den Eltern, die ich in Parks und auf Spielplätzen kennengelernt habe, was ja schon bedeutet, dass sie ihre Kinder nicht dauernd vor dem Fernseher parken. Möglich, habe ich mir gedacht, dass ich so behütet gar nicht mitbekomme, dass dysfunktionale Familien keine kleine Minderheit mehr darstellen.

Jetzt hat aber die Wochenzeitung „Die Zeit“ über Martin Dornes berichtet, einen Psychologen und Soziologen am Frankfurter Institut für Sozialforschung. Er hat über vier Jahre hinweg Forschungsergebnisse aus mehreren Jahrzehnten zusammengetragen, um zu überprüfen, ob all die Warner denn recht haben. Sein Ergebnis deckt sich mit meinen Beobachtungen. Ja: Eltern und Kindern ging es vermutlich nie so gut miteinander wie heute!

Das ist doch eine gute Nachricht.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2014)

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