Nüchternheit

Jetzt ist wieder Nüchternheit in unser Wohnzimmer eingekehrt. Weg sind die silbernen Rentiere, entsorgt der Baum. Nur die eine oder andere Nadel erinnert noch an Weihnachten.

Wieder einmal im letzten Abdruck. Wieder einmal spät dran. Aber nicht zu spät, noch kann man die ausgedienten Christbäume zur Sammelstelle bringen, noch sind wir nicht die Letzten, in deren Wohnzimmer wieder Nüchternheit einkehrt. Weg mit den silbernen Rentieren und der kleinen Krippe mit dem schwarzen Lämmchen. Ab in den Keller mit dem ganzen Christbaumschmuck und der fragilen Spitze, die tatsächlich schon wieder ein Weihnachtsfest überlebt hat.

Den Baum zu schmücken ist ja eine fröhliche Angelegenheit: Die Kinder hängen Glaskugeln auf und freuen sich darauf, dass sie jetzt zwei Wochen keine Schule haben, ich achte darauf, dass Kerzen und Strohsterne sich nicht zu nah kommen, und bin erleichtert, dass alle Geschenke schon verpackt sind. Aus dem Laptop tönen Weihnachtslieder. Und mein Mann schleppt einen Kübel Wasser zum Löschen herbei. Man weiß ja nie.

Das Abschmücken dagegen ist ein einsames Geschäft. Marlene ist nicht da, sie ist bei einer Freundin, Hannah hat keine Zeit, sie muss Französisch lernen. „Mach die Musik aus!“, ruft sie, „ich muss mich konzentrieren.“ Also bette ich leise die Kugeln in die schon etwas zerdepschten Boxen, nestle an Strohsternen herum, entwirre Fäden, entsorge abgebrannte Kerzen und hänge nostalgischen Gedanken nach. Da, diesen Stern aus Holzperlen, den hat Hannah im Kindergarten gemacht! Und dieser Schmuck aus getrockneten Orangenschalen ist von Marlene. Ein paar Jahre ist das her, jetzt tragen wir drei die gleiche Schuhgröße.


Schokolade! Der Baum dieses Jahr war schön, wenn auch nicht so schön, wie die meiner Oma immer waren. Oma hatte die grünsten, die gerade gewachsensten, die prächtigsten Tannen. Und jedes Jahr waren sie anders geschmückt. Einmal in Rosa, wie eine Babyprinzessin! Ein andermal glitzerte der Baum weiß-silbern, edel und kitschig zugleich. Dann wieder klassisch rot mit Strohschmuck. Was jedes Jahr gleich blieb: Dutzende Sternspritzer und Unmengen an Süßigkeiten am Baum. Am liebsten hatte ich die Pralinen, die aussahen wie Walnüsse. Die Schale war aus Schokolade, der Kern aus Nougat. Ein Christbaum ohne Schokoladenüsse in Silberfolie war für mich kein richtiger Christbaum.

Und heute? Mit Sternspritzern gehen wir vorsichtig um. Brandgefahr. Und die Kinder essen im Advent eh so viel Süßes...

Die Arbeit geht voran. Die Kerzen sind abgenommen. Die Strohsterne auch. Fehlen noch ein paar blaue Kugeln, dann bin ich fertig. Wenn Stephan heimkommt, werden wir den nackten Baum zur Sammelstelle tragen.

Von Weihnachten bleibt nur noch die eine oder andere vergessene Nadel unter dem Teppich.

bettina.eibel-steiner@diepresse.comdiepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2015)

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