Brandheiss und höchst persönlich

Eine kleine Serie über bürgerliche Tugenden, Teil 3: Was ist eigentlich aus der Bescheidenheit geworden? Und was ist am Mittelmaß so schlecht?

Bis jetzt war es ja leicht. Ich bin ziemlich fleißig – und habe ein Loblied auf den Fleiß gesungen. Bin weitgehend höflich – und habe die Höflichkeit gepriesen. Das fühlte sich gut an, das ging leicht von der Taste, aber heute wird es kompliziert: Es gibt nämlich Ohrenzeugen, die mich als ausgesprochen prahlerisch in Erinnerung haben. Meinen Mann etwa. Ihm habe ich frisch verliebt beschieden, er müsse nicht mehr weitersuchen: „Was besseres als mich gibt es nicht. Ich bin dein Glück!“

„Potzblitz“, sagt da mein Ich aus dem Jahr 2015 und blickt beschämt zwei Jahrzehnte zurück, denn auch wenn ich mich nicht daran erinnern kann – möglich wär's. Und möglich wäre auch, dass ich meiner Kollegin, die ich „Jedes-Ressort-bekommt-jetzt-einen-Computer-mit-Internetanschluss!“-lang kenne, als frischgebackene Praktikantin wirklich erklärt habe, die „Presse“ könne froh sein, dass ich für sie arbeiten wolle.


Psychotests. Bescheiden war ich also nie. Möchte ich aber sein. Ich würde nämlich dem gesellschaftlichen Trend zur Prahlerei gern etwas entgegensetzen. Mittlerweile wird ja jede Einsicht in die eigene Unzulänglichkeit schon als Zeichen von Schwäche gewertet. Wer sich nicht sicher ist, heißt es, muss falsch liegen. Wer nicht unausgesetzt erklärt, er sei der „Bessere, der Beste, der Allerbeste“, der ist garantiert nur Mittelmaß – und Mittelmaß ist das neue Unter-aller-Sau. Wer will, wer darf schon durchschnittlich sein? Unternehmen kaufen Psychotests zu, die all jene als führungsschwach aussortieren, die bei einem Problem auch einmal die Kollegen um Rat fragen.

Eine frauenfeindliche Komponente hat das alles auch: Coaches erklären uns, wie wir zu sprechen, zu nicken und zu hüsteln haben, damit wir nicht zu bescheiden rüberkommen, und dass wir – bewahre – ja nicht auf Statussymbole verzichten dürfen. Her mit dem Dienstwagen. Mit dem Eckbüro. Sonst setzen wir die Karriere aufs Spiel.

Wie öde!

Genie oder Trottel? Ich jedenfalls glaube immer noch, dass mein Mann mit mir Glück hat, jede andere hätte seine Lieblingsjogginghose – so eine rosa-blau-gestreifte aus den späten Achtzigerjahren – längst fluchend entsorgt. Aber ansonsten habe ich in den letzten Jahrzehnten doch bemerken müssen, dass ich nicht ganz so toll bin, wie ich im jugendlichen Übermut geglaubt habe, diesbezüglich hat mir das Leben doch ein paar – wenn auch recht freundliche – Stupser gegeben.

Das ist nämlich das Positive an der Unbescheidenheit: Wenn man kein kompletter Trottel ist und auch kein Genie, wird sie mit der Zeit von selber besser.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2015)

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