Eigenlob stinkt

Ich schreibe die Kolumne meist im Kaffeehaus. Aber diesmal klappt das nicht, diesmal muss ich zuhören, wie die Frau am Nebentisch sich selbst preist.

Der erste Satz, den ich gehört habe, war: „Ich bin für mein Alter sehr reif.“ Genauer: „Ich bin erst 22, und dafür habe ich eine erstaunliche Reife.“ Der Satz kam vom Nebentisch, aus dem Mund einer Frau mit Schal und Pferdeschwanz, die sich gerade nach immerhin sieben Monaten von ihrem Freund getrennt hat, wobei diese sieben Monate doch eine beachtliche Leistung seien und ihre erstaunliche Reife es ihr gestatte, ohne Zorn auf diese Beziehung zurückzublicken, die enden musste, denn sie sei „eben ein Mensch, der sich nach vorn entwickelt“, während ihr Exfreund zurückschreite. Tja.

Ich schreibe meine Kolumne meistens im Kaffeehaus, weil ich mich dort am besten konzentrieren kann, denn normalerweise vermischen sich das Geplauder vom Nebentisch, das Klappern des Bestecks und das Klirren der Gläser zu einer Art weißem Rauschen. Aber diese Stimme drang völlig ungefiltert in mein Ohr, weil sie so hell und laut war, einerseits, und weil es eben selten ist, dass Menschen so unbekümmert von sich selbst behaupten, sie seien „erstaunlich reif“. Da kann man schwer weghören.

Also ich jedenfalls nicht. Darum habe ich noch eine Menge von meiner Kaffeehausnachbarin erfahren: Ich weiß, dass sie ihrem Professor unglaublich viel zu verdanken hat, weil er sie „einfach hat machen lassen, ich meine andere, wenn sie was nicht verstehen, blocken ab“, dass sie zu einem Kongress eingeladen war („Ich war die Jüngste dort, nicht nur heuer, überhaupt!“), dass der Hund ihrer Schwester Max heißt, wo sie ihre Schuhe kauft – und außerdem fährt sie nächste Woche nach Chicago.

Perfektionistin. Dann erkundigte sie sich bei ihrem Gegenüber, einem jungen Mann, der still zugehört hatte, wie es ihm denn ergangen sei im vergangenen halben Jahr („Da muss doch viel passiert sein, also bei mir jedenfalls ist wahnsinnig viel passiert“), aber bevor er antworten konnte, fiel ihr noch ein, dass sie eine Perfektionistin sei, sonst wäre sie mit ihrem Studium schon längst fertig, und außerdem sei sie „wahnsinnig tolerant“.

Ich bin dann aufs Klo gegangen, ich brauchte eine Pause, und als ich zurückkam, war sie gerade bei ihrer Siamkatze, die nicht länger als sechs Stunden am Stück allein bleiben kann, denn sonst werde das Tier depressiv. Das sei ja wieder typisch für sie, dass sie die komplizierteste Katze der ganzen Stadt ihr Eigen nenne.

Mich erinnerte das an meine Studienzeit, an die Männer, die vor Kaffee oder Rotwein von ihrer glänzenden Zukunft überzeugt waren, und die Sätze mit „Ich bin ein Mensch, der . . .“ begannen. Jetzt gibt es also auch solche Frauen. Sehr interessant. Durchaus gerecht.

Ich war trotzdem froh, als sie zahlte und ging.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

(Print-Ausgabe, 08.05.2016)

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