Neid!

Flugzeug am Himmel
Flugzeug am HimmelAPA/dpa/Silas Stein
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Und da liegt sie, die kleine Große, den Kopf auf meinem Schoß, und schläft, und mein erstes Gefühl ist: Ach, wie süß. Und das zweite: Neid!

Wir verreisen. Diesmal nur Marlene und ich, ich zeige ihr die große weite Welt, wofür wir mehrere Zeitzonen überfliegen müssen und ein Dutzend Stunden unterwegs sind, erst mit dem Bus, dann mit dem Flugzeug, noch einmal mit dem Flugzeug und zuletzt mit dem Taxi. Ich bin nervös, immer noch schaffe ich es nicht, eine Reise mit der Gleichmut der Weltgewandten anzutreten, immer noch kontrolliere ich dreimal, ob ich auch die richtigen Pässe eingepackt habe, immer noch misstraue ich meinem Gedächtnis: Der Flug geht wirklich um 18.25? „Ich bin nervös“, sage ich. „Ich weiß“, seufzt Marlene.

Marlene ist ruhig. Marlene ist fast provozierend gelassen. Eine Stunde vor Aufbruch ist ihr Trolley immer noch nicht gepackt, sie muss noch mit ihrer Freundin skypen, das Video fertigsehen, den Song runterladen. Viel braucht sie ja eh nicht. Ein paar Leiberln, ein paar Pullis, ihr Handy samt Aufladegerät, sie hat doch noch massig Zeit, sagt sie, und beginnt, nach den Socken zu kramen. Und wirklich, sie wird rechtzeitig fertig, es kann losgehen: „Hast du eh meinen Pass, Mama?“ Jetzt seufze ich.

Im Flieger schläft Marlene ein. Ihr Kopf liegt auf meinem Schoß, die Beine hat sie hochgezogen, und es sieht nicht einmal unbequem aus. „Ach, wie süß“, denke ich. Wie eine Katze, die rollen sich auch noch in der kleinsten Schachtel ein und schauen aus, als wollten sie für immer da bleiben, weil es nun einmal keinen besseren Platz gibt als ebendiesen. Das zweite Gefühl: Neid. Ich würde jetzt auch gern schlafen. Aber das geht nicht. Weil ich nicht weiß, wo ich die Beine hintun soll. Weil sonst mein Nacken steif wird. Weil ich genau weiß, wenn ich jetzt die Augen schließe, wird der Jetlag mich übel packen, dann werde ich wach liegen, die ganze Nacht.

Vor allem aber: Weil ich noch zu aufgeregt bin. Wird das mit dem Anschlussflug klappen? (Warum denn nicht?) Hat die Vermieterin mein letztes Mail erhalten? (Natürlich.) Habe ich auch nichts vergessen? (Blöde Frage.) Und dann kommen wir an, zwei Stunden zu spät, aber was macht das schon, die Vermieterin serviert persischen Tee mit einer Zimtstange drin, erklärt mir, wo ich am besten Frühstück kaufe, wie ich zur nächsten U-Bahn-Station kommen, wo der Föhn ist und wo der Wasserkocher, und während Marlene schon wieder eingeschlafen ist, wie schafft die das bloß, schaue ich auf die Straßen der großen weiten Welt, komplett munter, kein bisschen müde, und ich denke mir noch, dass das kein Wunder ist. Wie blöd von mir: Zu Hause ist es sieben Uhr morgens! Und dann schlafe auch ich.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2017)

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