Frühling

Schneeglöckchen
Schneeglöckchen(c) Clemens Fabry
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Noch ist alles im Werden. Die Büsche sind frisch beschnitten, Fenster werden geputzt, eilige Kellner stellen noch mehr Sessel und Tische ins Freie.

Man sollte sich nicht täuschen. Noch steht die Sonne nicht so hoch. Sie versteckt sich hinter den Häusern der Stadt, in den Gassen hält sich hartnäckig der Schatten. Also gehe ich sie suchen, im Park, wo die Rosenbüsche in grobleinenen Säcken stecken und die Äste der Bäume noch dunkel sind, fast schwarz ragen sie in den Himmel, der so blassblau ist wie nur im März. Vor einem Denkmal üben fünf Burschen Tricks mit dem Board, wenn einem von ihnen ein Sprung gelingt, pfeifen die anderen anerkennend, und man spürt den Neid. Die Mädchen, lässig in viel zu weiten Pullovern, lehnen an der Mauer, sie rauchen und schauen zu. Ich würde gern skaten können. Sechs Stufen hinunterspringen und dann wieder auf dem Board landen.

Narzissen vor den Blumenläden. Er war lang und kalt und düster, dieser Winter. Er war schon so nicht leicht und ist dann richtig gemein geworden, und ich kann kaum glauben, dass jetzt wirklich Frühling wird. Dass ich eine Sonnenbrille tragen werde und keinen Mantel, dass nicht nur die Narzissen in den Töpfen vor den Blumenläden Farbe bringen, sondern auch die Blüten der wilden Kirsche, Flieder, Goldregen und Magnolien. Dann wird das Wasser des Donaukanals wieder silbrig glitzern, die Enten werden sich ihre Plätze suchen. Aber das dauert noch. Vor der U-Bahn-Station tröstet eine italienische Mutter ihr Kind, und ich denke an Triest. Dort hat es jetzt 18 Grad. Ich weiß eigentlich immer, wie viel Grad es gerade in Triest hat. Noch ist alles im Werden. Die Büsche sind frisch beschnitten, Fenster werden geputzt, Fassaden ausgebessert, rot-weiße Absperrbänder flattern im Wind. Eilige Kellner stellen noch mehr Tische und Stühle ins Freie, sie haben den Andrang unterschätzt. Eine Apothekerin dekoriert das Schaufenster um: Gelbe Regenschirme und Plastikgras statt Kunstschnee und Schlittschuhen. Passanten eilen vorbei, manche tragen noch Stiefel und Schal, andere zeigen dem Frühjahr ihre blassen Knöchel. Das soll jetzt Mode sein.


Die Gelateria. Als nur mehr die Fensterscheiben der obersten Stockwerke im Licht aufgleißen, gehe ich langsam nach Hause. Jetzt übernehmen die Straßenlaternen und die beleuchteten Schilder über den Eingängen der Geschäfte und Bars. Jetzt holt der Trafikant die Zeitungen und den Ständer mit den Ansichtskarten herein, seine Räder rattern übers Kopfsteinpflaster. Die Gelateria zwei Straßen weiter hat noch zu. Das ist schade, aber vermutlich vernünftig. Man sollte sich nicht täuschen. Nächste Woche ist Regen angesagt.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.03.2017)

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