Der Klassiker

Im Inneren eines Flugzeugs
Im Inneren eines Flugzeugs(c) imago/blickwinkel (imago stock&people)
  • Drucken

Und als würde das nicht reichen, wandert auch noch sein Knie immer weiter in meine Richtung: Über meinen Kampf um ein bisschen Platz im Flugzeug.

Da sitze ich im Flugzeug, neben mir ein Mann, schätzungsweise 25, schätzungsweise sechsmal wöchentlich Krafttraining. Er unterhält sich mit seinem Freund, schätzungsweise ein wenig älter, deutlich sichtbar untrainiert. Sie finden irgendeine Maria super, warum auch nicht. Sie lästern über Eva, vielleicht zickt sie ja wirklich nur rum. Sie bestellen Wein, was zumindest mutig ist auf den billigen Plätzen. Und dann belegt der Krafttrainierte meine rechte Armlehne. Jetzt ist es mit den Armlehnen im Flugzeug ja so: In einer Reihe mit drei Sitzplätzen gibt es vier davon, also müssen zwei Passagiere auf den Komfort verzichten, beide Ellbogen abzulegen. Dass diesmal ich dran bin, ist im Lichte der Wahrscheinlichkeitsrechnung betrachtet okay, und außerdem gibt es Schlimmeres: Diese zähen Nudeln mit Tomatensauce zum Beispiel, die sich erfolgreich dagegen wehren, von der Plastikgabel aufgespießt zu werden.

Oberschenkel. Aber dann wandert der Oberschenkel des Krafttrainierten in meine Richtung. So ein dicker, fetter, Pardon, muskulöser Oberschenkel, und ich fühle mich langsam bedrängt. Ich stelle mir die häufigste aller feministischen Fragen, die da lautet: Merkt der eigentlich, was er tut? Gebe mir die häufigste aller feministischen Antworten, nämlich: aller Erfahrung nach nicht. Als dann auch noch ein leeres Dessertschälchen auf meinen Zehen landet, das vom Tablett des Krafttrainierten stammen muss, denn ich habe meine Irgendwas-mit-Vanille-Creme noch nicht gegessen, überlege ich kurz, ob ich ihn darauf hinweisen soll, dass der Begriff Wegwerfgeschirr nicht impliziert, dass man es auf den Boden schmeißt. Ich entscheide mich aber für Taten statt Worte und kicke das Schälchen in seinen Fußraum.

Treffer. Er zuckt zusammen. Ich nutze sofort die Gelegenheit: Als Erstes landet mein Unterarm auf der Armlehne, zack, dann schiebe ich mein Knie scharf nach rechts. Dass ich dabei seinen Oberschenkel touchiere, nehme ich in Kauf. Er schaut mich irritiert an, ich sage lächelnd: „Entschuldigen Sie bitte!“ Und lasse mein Knie und meinen Unterarm, wo sie sind.

Und da bleiben sie auch. Die ganze nächste Stunde. Obwohl ich dafür darauf verzichten muss, aufs Klo zu gehen. Obwohl ich sehe, welche Mühe es meinem Nachbarn bereitet, seine Muskeln zu sortieren, und kurz mit meinem schlechten Gewissen ringe. Aber dann fühle ich mich großartig, so großartig, dass ich nach dem Aussteigen den Kerl, der mit seinem Handgepäck die gesamte Breite der Rolltreppe blockiert, einfach nur angrinse. Und siehe da: Er weicht mir aus.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.