Am Herd

Freiheit für die Zehen!

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Ja, da muss der Feminismus einspringen, wie so oft dient er nicht nur der Befreiung der Frau, sondern auch des Mannes: Freiheit für seine Waden, für die Oberarme, für die Zehen!

Arme Männer. Arme, arme, arme Männer. Schwitzen da bei 34 Grad in ihren langen Hosen, dünsten in ihren engen Schuhen, hecheln nach Luft: Ist es in Ordnung, wenn ich das Sakko ausziehe, fragen sie. Es stört doch nicht, wenn ich die Krawatte löse? Und ich sitze gegenüber, kein Problem, natürlich nicht! Danke, sagen sie, und wirken wie befreit, dabei haben sie gar keine Ahnung, wie angenehm das ist: im leichten Rock mit dem ärmellosen Top und die Füße in Sandalen.

Ästhetik? Pah! Ja, da muss der Feminismus einspringen. Wie so oft dient er ja nicht nur der Befreiung der Frau, sondern auch des Mannes: Er hilft den sanften Buben oder den nachdenklichen Jugendlichen oder den Vätern, die nicht wollen, dass der Job sie von ihren Liebsten fernhält und die sich nicht als alleinige Ernährer sehen wollen. Wir sind auf eurer Seite! Und in diesem Sommer auch auf der des einen oder anderen Alphatiers: Schluss mit Hitzekoller. Freiheit für die Männerwaden! Freiheit für ihre Oberarme! Und nicht zu vergessen: für die Zehen.

Aber, schüttelt da der Kollege, schüttelt auch die eine oder andere Kollegin den Kopf: Kurze Hosen und Sandalen sehen bei Männern doch wirklich grauenhaft aus! Männerwaden, igitt. Männerfüße, oh Gott! Und Kurzarmhemden gehen gar nicht! Aber solche Einwände lasse ich nicht gelten, denn erstens ist Ästhetik durchaus Gewohnheitssache, ich erinnere an Plateauschuhe, Christussandalen, überdimensionierte Schulterpolster (für Frauen!), Hirschgeweih-Tattoos und die beliebten bauchfreien Leiberln. Was aber zweitens noch wichtiger ist: Ästhetik ist wurscht.


Sexistischer Scheiß. Auch das hat übrigens der Feminismus erkämpft, bislang allerdings nur für Frauen: Jeden, der uns heutzutage vorzuschreiben versuchte, wie wir uns zu kleiden haben, dass wir mit über 40 keine Flipflops tragen, mit über 50 die Oberarme bedecken sollten und dass ab einem BMI von weißnichtwas kurze Röcke tabu sein sollten, jeden also, der uns damit kommt, dass wir gefälligst ein ästhetischer Anblick zu sein hätten, egal, ob wir dabei verschmachten, würden wir umgehend zur Rede stellen: Was ist denn das für ein sexistischer, ageistischer und überhaupt für ein Scheiß? Wir tragen, was wir wollen! Nur bei Männern ist das offenbar noch anders, was man vielleicht mit ausgleichender Gerechtigkeit begründen könnte, aber wir sind ja nicht nachtragend. Als Feministin fordere ich: Kurze Hosen für alle, Sommerkleider für jeden und Sandalen für die Welt. Gern geschehen.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2017)

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