Zuallererst geht es immer gegen Tiere, Kinder und Frauen

Wir wissen heute, dass Mitgefühl mit Tieren und mit Menschen in der Regel zusammenhängt.

Seltsam eigentlich, wie sehr sich viele Menschen bemühen, Distanz zwischen sich und die Tiere zu bringen. So klingt es vordergründig zustimmungswürdig, wenn etwa Frau Sibylle Hamann in der „Presse“ am 18. September darüber „querschrieb“, dass es zwar eine Welle der Hilfsbereitschaft für die rumänischen Straßenhunde gäbe, nicht aber für die dortigen Straßenkinder.

Mainstreamkonform offenbar auch, dass sich Herbert Lackner im Mai dieses Jahres im „Profil“ süffisant-ironisch, aber auch moralisch entrüstet darüber ereiferte, dass wegen der Ziesel (europäische Erdhörnchen) am Rand von Wien ein Bauvorhaben für tausende Wohnungen gestoppt worden sei. Nach Schätzung einer Anrainerbewegung ging es um 800 Tiere, eine wissenschaftliche Zieselzählerin kam auf bloß 127. Egal, diese Viecherln stehen nun einmal auf der Roten Liste und genießen daher einen besonders strengen gesetzlichen Schutz. Bedauerlich für den Wohnungsbau, aber angeblich leben wir ja in einem Rechtsstaat.

Zur allgemeinen Abgrenzung von Mensch und Tier passt es auch, dass es in den Büros der „News“-Gruppe im zweiten Wiener Gemeindebezirk ein Hausverbot für Tiere gibt, das neuerdings streng exekutiert wird. Dagegen protestierten viele Mitarbeiter. Aber: „Vurschrift ist eben Vurschrift“. Hundeverbot gibt es übrigens auch in den Universitätsgebäuden, was jedoch in manchen Bereichen der Biologie geflissentlich ignoriert wird.

Hunde sind schließlich Menschen wie wir, zudem wichtige Forschungspartner. Da könnte man ja gleich Hausverbot für Studenten erlassen, auch die schmutzen gelegentlich und sind als Ausscheider von Viren und Bakterien ein formidables Hygieneproblem.

Im Ernst: Warum scheint es Menschen ein solch wichtiges Anliegen zu sein, sich von Tieren zu distanzieren? Wir sind über die letzten Hunderttausende von Jahren dermaßen radikal im Tierkontakt entstanden – bis hin zu unserem philosophisch-spirituellen Gehirn –, dass wir ohne Selbstreflexion im Spiegel Tier gar nicht wüssten, wer wir eigentlich sind (sagt der Biologe. Die Philosophen werden dies dagegen branchenbedingt nie wissen können wollen). Ist uns diese Herkunft derart peinlich, dass wir glauben, sie verdrängen zu müssen?

Frau Hamann irrt übrigens in ihrer Grundannahme: Tier- und Menschenliebe sind kein Gegensatz. Es gilt aber der von Milan Kundera in seinem wunderschönen Roman „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ entwickelte Gedanke, dass sich gesellschaftliche Konflikte oft in Kampagnen gegen Tiere entladen. Wir wissen heute, dass Mitgefühl mit Tieren und Menschen in der Regel zusammenhängt. Aber natürlich gibt es auch eine Minderheit von menschenverachtenden Tierfreunden. Hitler war so einer.

Außerdem wissen wir heute, dass die Präsenz von Kumpantieren im Büro, in der Schule, in Therapien, etc. für ein menschlicheres Klima und bessere Arbeitsergebnisse sorgen kann. Menschen ohne Tierkontakt? Ein Artefakt der Moderne, Defizitexistenz, sozusagen. Pervers eigentlich, dieses Defizit in öffentlichen Gebäuden auch noch zum Standard zu erheben. Nicht ganz zufällig sind Tierschutz und Frauenfragen bei den meisten Parteien in einem einzigen Ressort verortet. Denn wenn es in einer Gesellschaft hakt, geht es zuallererst gegen Tiere, Kinder und Frauen. Hoch an der Zeit, sich dessen bewusst zu werden.

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau.

Emails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2013)

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