Tauscht Europa jetzt seine Juden gegen Muslime aus?

Die neue Judenhetze in Europa richtet sich gegen unsere zentralen Werte, gegen aufgeklärtes Denken und Liberalität.

Ein Prediger in Saudiarabien verkündet, dass die Erde stillstehe. Bei uns werden massenweise Bücher verschenkt, die per manipulativer Vermischung von Islam und Wissenschaft im Stil des Kreationismus nachweisen wollen, dass Charles Darwin falschlag. So etwa „Der Evolutionsschwindel“ des türkischen Schriftstellers Adnan Oktar. Schrullig, könnte man da einfach nur meinen.

Aber der Islamische Staat tötet im Namen seines Islam massenhaft „Ungläubige“, und besagter Autor leugnet nicht nur die Evolution, sondern auch den Holocaust. Munter verbreitet er bekannte jüdisch-freimaurerische Weltverschwörungstheorien gegen den Islam. Und natürlich inszenierte der US-Geheimdienst CIA 9/11 selbst, um einen Anlassfall für einen Kreuzzug des Westens gegen den Islam zu haben. Leider werden solche lächerlichen Ideen weltweit von vielen Muslimen geglaubt – auch in Europa.

Der Kern jeder modernen liberal-aufgeklärten und demokratischen Staatlichkeit ist die Trennung von Glauben und Wissen, von Religion und Staat. Dies ist aber dem Islam systemfremd. Mittlerweile ist er zwar Teil Europas, viele Muslime sind aber noch immer nicht angekommen, weil sie die europäischen Grundprinzipien weder verstehen noch akzeptieren wollen. Mit ein wenig Integration ist es nicht getan, zumal 70 Prozent der heimischen Imame diese ablehnen und torpedieren. Um wirklich anzukommen, muss der Islam sich letztlich selbst aufklären.

Europaweit glaubt eine seltsame Allianz zwischen einem islamischen und einem rechtsradikalen Bodensatz an die jüdische Weltverschwörung. Dass die Hetze gegen Juden da wieder in Schwung kommt, braucht uns daher nicht zu wundern.

Der Exodus aus Frankreich ist nur die Spitze des Eisbergs. Antisemitische Beschimpfungen und Schmierereien sind in Europa längst wieder „Normalität“, auch in Österreich. Die Schwelle zur physischen Gewalt sinkt beständig. Satte europäische Bürger schauen irritiert(?) weg – so wie damals, als Juden in Wien per Zahnbürste die Straßen putzen durften. Und ach so humanistische Linke skandieren auf ihren Demos gegen Israel antisemitische Parolen, schweigen aber zum neuen Megaskandal.

Angesichts der langen Geschichte der Pogrome wäre jede Begründung für den Schutz jüdischer Mitbürger eine zu viel. Dennoch: Juden waren und sind maßgebliche Träger der europäischen Kultur, der Wissenschaften und Künste. Beim Islam muss man sehr weit zurückgehen, um Ähnliches behaupten zu können.

Wien etwa verlor mit der Vertreibung und Vernichtung der Juden das kulturelle und wirtschaftliche Rückgrat, die Universität ihr großartiges wissenschaftliches Profil, wohl eine der nachhaltigsten Verwüstungen durch die Nazi-Herrschaft. Das mag nach Semitophilie klingen, ist aber im Kontrast zum mangelnden kulturell-wissenschaftlichen Beitrag des Islam zur europäischen Bürgergesellschaft schlicht eine Tatsachenfeststellung.

Die neue Hetze gegen die Juden in Europa richtet sich gegen unsere zentralen Werte, gegen aufgeklärtes Denken und Liberalität. Sie ist ein alarmierendes Symptom für ein Europa auf Talfahrt.Ob wir alle Charlie sein wollen, bleibe dahingestellt, angesichts der Skepsis gegenüber dem Ausleben von Meinungsfreiheit mittels Beleidigung. Aber es ist hoch an der Zeit, dass wir endlich alle Juden sind. Je sui Juif. Ganz ohne Wenn und Aber.

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2015)

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