Nochmals Zukunft: Glück und Zusammenleben im Jahr 2048

Der Kampf um die Verteilung menschlich-artgerechter Lebensbedingungen wird sich immer mehr verschärfen.

„Die Presse“ am vergangenen Samstag zeigte unter anderem, dass Zukunft unterschätzt wird, was etwa die technologischen Entwicklungen betrifft. Die Zukunft wird aber auch überschätzt, weil letztlich Menschen auch in ein paar Jahrzehnten immer noch dieselben Bedürfnisse haben werden. Seltsam übrigens, dass ausgerechnet das eigentlich wichtigste Thema in dieser Ausgabe fehlte: nämlich wie glücklich die Menschen zur Mitte dieses Jahrhunderts sein werden. Denn „Glück“ – beziehungsweise eine balancierte Emotionalität – gilt immerhin als wichtigster Faktor für ein langes und gesundes Leben. Bezüglich Zufriedenheit liegen die Österreicher im europäischen Spitzenfeld. Aber wird das so bleiben?

Was macht glücklich, was zufrieden? Der Urgrund wird in der frühesten Kindheit gelegt. Säuglinge entwickeln durch verlässliche, feinfühlige Betreuung ein sogenanntes sicheres Bindungsmuster, das im weiteren Leben als Modell für soziale Beziehungen dient, als Voraussetzung für die selbstsichere Erforschung der Welt, für einen sicheren Umgang mit den eigenen Gefühlen und für den Aufbau vertrauensvoller Partnerschaften – für ein Leben in der eigenen Mitte, sozusagen. Hilfreich ist auch ein Aufwachsen in Kontakt mit Tieren und Natur. Vor allem aber hängt die Glücksfähigkeit stark mit einer Einbettung in eine integrative und solidarische Gesellschaft zusammen.

Das wird es aber nicht spielen, denn 2048 werden Menschen in Europa in wesentlich polarisierteren und fraktionierteren Gesellschaften leben als heute. Ein Teil wird über das Wissen und die Ressourcen für ein glückliches und gesundes Leben verfügen und dieses weiterhin in der naiv-zynischen Illusion der Zusammengehörigkeit mit anderen Menschen zelebrieren. Sie werden sich aber noch mehr abgrenzen, bewusst mit Technologie umgehen und ihre Kinder in diesem lokalen Biedermeier zu den kommenden Eliten heranzubilden suchen.

Ein weit größerer Teil der Menschen aber wird noch hilfloser als heute dem Konsum und den Technologien ausgeliefert sein, zu einem noch willfährigeren Substrat für die Interessen einiger weniger werden. Artgerechte soziale Strukturen zerbröseln, es wird noch schwieriger, in stabilen Partnerschaften zu leben. Schlecht gebildet und unzufrieden klinkt sich diese Mehrheit aus dem politischen Prozess aus; das spült Rechtspopulisten an die Macht.

Es wird zügig wärmer auf der Erde, der Süden liegt im Dauerkrieg, der Migrantenstrom in den Norden hält an. Integration scheitert, es entsteht eine extreme Untergliederung in parallel und gegeneinander lebende religiöse und sozio-ökonomische Gruppen, klassische Staatlichkeit und mediale Kommunikation zerfallen und werden durch Gewalt ersetzt. Die Menschen flüchten in positive virtuelle Welten, es verschwinden die letzten Lebensräume und damit die meisten Wildtiere. Es gelingt nicht, den Fleischkonsum auf ein ökologisches Maß zu drosseln.

Die Verteilung von Glück, von artgerechten Nischen oder vom Kampf ums bloße Überleben ist angesichts von zehn Milliarden Mitmenschen nicht vorhersagbar. Sicher aber gibt es für eine Welt, die heute schon im Polytrauma liegt, keine einfache Heilung. Ebenso sicher wird sich der Verteilungskampf um menschlich-artgerechte Lebensbedingungen verschärfen. Ich wünschte, das alles wäre bloß ein Albtraum. Aber bekanntlich sind Optimisten vor allem schlecht informiert.

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau.

Emails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2015)

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