Gesund ernähren? Der Blick in die Steinzeit hilft uns nicht weiter

Wie richtig essen? Steinzeitdiät? Unfug! Menschen sind auch genetisch nicht mehr dieselben wie vor 10.000 Jahren.

Ein Gutteil der Menschheit leidet unter zu wenig und zu schlechter Nahrung, während wir in der Fülle an Lebensmitteln beinahe ersticken. Vom Essen lebt ein Teil der Wirtschaft recht gut, auch unter Ausnützen unserer alten Instinkte.

So stopft eine Mehrheit bereitwillig Unmengen von Zucker, Salz und Fett in sich hinein. Auch hier geht es letztlich ums Geschäft, nicht um die Gesundheit. Viele durchschauen diese Falle nicht, oder ein stressiger Alltag lässt vermeintlich keine Zeit zum bewussten Essen. Andererseits entwickeln sich inzwischen Gurus, Subkulturen und Ersatzreligionen um das große „Thema Nummer zwei“.

Was also ist „richtige“ Ernährung?

Im Zuge der Menschwerdung nahmen Gehirnvolumen und Verhaltensaktivität stark zu. Heute verwenden wir etwa fünf Prozent des Körpergewichts zum Denken, verbrauchen damit aber satte 25 Prozent der Energie. Daher wurden Menschen anders als der Rest unserer hominiden Verwandtschaft zu Fleischessern. Menschen wussten auch schon sehr früh, dass man durch Erhitzen die Nahrung besser aufschließen kann.

Vor etwa 60.000 Jahren brach eine Handvoll Homo sapiens aus Afrika in Richtung Norden auf. Damit sollten sie auch ihre Versorgung mit Protein verbessern. Mit dem Sesshaftwerden vor gut 10.000 Jahren bestimmte plötzlich Stärke die Nahrung. Eine erste Kariespandemie war die Folge. Aber die Sesshaften passten sich über die Jahrtausende leidlich an. Auch ihre Hunde übrigens, die heute viel besser als die Wolfsahnen Stärke verdauen können.

Als im Zuge der Industriellen Revolution nach 1850 Zucker und Weißmehl in großen Mengen verfügbar wurden, löste dies eine weitere Kariespandemie aus und schuf die Grundlage für Fehlernährung und Massenfettleibigkeit. Das geschieht übrigens bis heute, vor allem, wenn es vom Wegfall sozialer Essenstraditionen begleitet ist. Ohne Aufmerksamkeit im Vorbeigehen Nahrung in sich hineinstopfen, macht fett und krank.

Heute vermischen sich Menschen unterschiedlicher Herkunft. Alte Überlebensnotwendigkeiten, etwa Milch zu vertragen, fallen weg. Wohl auch im Zusammenwirken mit tausenden neuen Substanzen in Umwelt und Nahrung erleben wir eine Zunahme von Unverträglichkeiten und Immunsystemproblemen.

Wie also richtig essen? Steinzeitdiät? Und Hunde wie die Wölfe ernähren? Unfug! Menschen und Hunde sind auch genetisch nicht mehr dieselben wie vor 10.000 Jahren. Eigentlich ist es ganz einfach: Gesund sind vernünftige Portionen ausgewogenen Essens, mit wenig Zucker, Fett, Salz und rotem Fleisch, optimal, wenn verbunden mit genussreichen, sozialen Essensritualen. Selber kreativ kochen entspannt und ist gesund.

Die optimale Ernährung aber gibt es nicht. Die individuellen Unterschiede sind groß, und die Jungen sollten anders essen als die Älteren. Man muss schon selbst draufkommen, was einem wirklich guttut. Pervers wird es, wenn Obsessionen, Kontrollzwänge und Vorschriften den Genuss verdrängen. Es ist übrigens kein Widerspruch, dass wir von steinzeitlichen Fleischessern abstammen, uns aber dennoch zu viel Steak nicht guttut. Damals lebte man nach dem Motto: Live fast and die young. Fleisch liefert viel Energie, belastet aber auch die Physiologie.

Heute will man lang gesund leben. Genussbetont fleischarmes Essen im Kreise von Freunden und Familie ist dabei sehr hilfreich.

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.09.2015)

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