Neue Aufklärung – oder neuer Kropf, den niemand braucht

Dass die Politiker immer irrationaler agieren, ist eine der Ursachen für den Bedeutungsverlust der Aufklärung.

Gut, dass es das Forum Alpbach gibt; sein mediales Marketing ließ heuer jeden Dorfintellektuellen begreifen, dass eine neue Aufklärung im Anzug ist; in seriöserem Soziologendeutsch auch als zweite Aufklärung bezeichnet, trendig als Aufklärung 2.0. Noch weiß aber trotz viel warmer Luft niemand, was das eigentlich sein soll. Egal. Dass es in einer immer komplexeren Welt mit der alten Aufklärung nicht mehr getan sein kann, ist hoffentlich jedem klar!

Die arme alte Aufklärung kann für dieses Wichtigkeitsgetue einer aufmerksamkeitsheischenden Kollegenschaft nichts. Sie bleibt schlicht die wichtigste Errungenschaft abendländischen Denkens, zeitlos aktuell in ihrer Berufung auf die Vernunft als universelle Urteilsinstanz, dem Kampf gegen Vorurteile und in ihrer Hinwendung zu den Naturwissenschaften und zur religiösen Toleranz. Aus der Aufklärung ergibt sich die Staatspflicht der Bildung, der Wahrung der Bürger- und Menschenrechte und des Gemeinwohls. Bedauerlich zwar, dass sich die Zustände in Staat und Welt von diesen Idealen stetig entfernen, das ist aber noch lang kein Grund, nach einer neuen Aufklärung zu rufen, bloß weil man die alte zunehmend ignoriert.

Der Verdacht keimt, dass man der alten Aufklärung nicht gerecht werden konnte und mit der Aufklärung neu in Wirklichkeit nach einer Aufklärung light ruft. Dies bestätigt etwa indirekt Kollegin Renee Schröder, die Aufklärung allzu stark mit der Menge an Wissen gleichzusetzen scheint. Wissen und Bildung sind zwar zentrale Komponenten, aber sie allein sind nicht Aufklärung. Meint man mit der Aufklärung neu im Grund eigentlich Schwamm drüber, über die alten Ideale? Und warum greift die Aufklärung alt zwar mosaikartig in Gesellschaft und Welt, konnte sich aber dennoch nicht als beherrschendes Prinzip durchsetzen?


Eine Ausrede bloß, dass Menschen keine rationalen Wesen wären. Die meisten Mitbürger leben zumindest in Sehnsucht nach Rationalität. Dass die Politiker auch unseres demokratischen Staates immer irrational-populistischer agieren, sorgt daher nicht nur für Frust, dies beschert der Aufklärung ihre täglichen Niederlagen und mag den scheinheiligen Ruf nach einer neuen begründen, die sich hoffentlich besser als die alte in den Dienst der modern-oberflächlichen Irrationalität stellen lässt.

Beispiele für den Verrat der Politik an den Prinzipien der Aufklärung finden sich täglich in den Zeitungen. Es mag etwa gute Argumente gegen TTIP geben; dass aber alle heimischen Politiker, auch die Neos, plötzlich auf Anti-TTIP-Kurs segeln, ist ihre populistische Reaktion auf die Stimmung in der Bevölkerung. Statt aufklärerisch zu führen, fällt man einfach um. Ein anderes Beispiel wären die vielen Irrationalitäten der europäischen Flüchtlingspolitik. Unsere Politiker zählen daher zu den effizientesten Totengräbern der Aufklärung.

Dass Europa von chinesischen Politikern neuerdings als ineffizient verhöhnt wird, liegt wohl auch daran, dass sie selbst Aufklärung nur in systemkompatiblen Dosen zulassen. Aber ein bisschen Aufklärung geht nicht, es gibt sie nur ganz oder gar nicht. Ist es angesichts dieser Lage paranoid, hinter der Aufklärung neu bloß ein wenig Lebensbewältigungstechnik zu vermuten, einen letztlich weder netten und schon gar nicht subtilen Instrumentalisierungs- und Entmachtungsversuch der klassischen europäischen Prinzipien?

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.09.2016)

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