Mit Federn, Haut von Kurt Kotrschal

Sehenden Auges in den Abgrund? Der Provinzler in unserem Kopf

Unbildung begünstigt Untergang, individuell, auf Ebene des Staates und weltweit.

Menschen sind über Jahrmillionen als Kleingruppenwesen entstanden, ausgestattet mit einem evolutionären Erbe, welches heute fast alle Probleme im dicht besiedelten globalen Dorf verursacht. So ist uns prinzipiell das Hemd näher als der Rock. Eigeninteressen stechen meist das Gemeinwohl, der Kurzzeitvorteil oft das Langzeitwohl. Und die Skepsis gegenüber dem Fremden schlägt oft genug Neugierde und Mitgefühl.

Ein prototypisch-klares Beispiel für diese oft seltsamen menschlichen Eigenheiten bietet der US-Präsident. Aber ein wenig Trump steckt in uns allen.

Drei Beispiele für die Folgen: Die neue Regierung wird wohl wieder einmal die Unmöglichkeit echter „Strukturreformen“ zeigen; das Gemeinwohl aller Bürger wird sich auch diesmal sehr den Gruppeninteressen der Kammern, Länder etc. fügen müssen. Das Pariser Klimaabkommen entpuppte sich eben als zu wenig und zu spät, um die Erderwärmung auf zwei Grad zu beschränken. Zudem wird es nach Kräften umgangen; sogar in Österreich war vor den Wahlen von entsprechender „Korrektur der Staatsziele“ die Rede. Und in einer ebenso hoch subventionierten wie industrialisierten Landwirtschaft scheinen die Bauern nur noch über die Runden zu kommen, wenn sie in naturferner Effizienz massiv chemisch wirtschaften; daher verschwinden gerade die Insekten und mit ihnen viele Vögel. Lauter klassische Hemd-Rock-Beispiele. Die Liebe zum Hemd wird uns immer heftigere Unwetter bescheren, wird den Meeresspiegel weiter steigen lassen und noch mehr Leute in die Migration treiben; die Mauern werden daher weiter wachsen, die Polarisierung der Bürger auch. Wohlstandsegoismen machen es offenbar unmöglich, den Enkeln eine lebenswerte Welt zu hinterlassen. „Hinter mir die Sintflut“ ist heute wörtlich zu nehmen.

Als tiefe Ursachen dieser Überlebenskollusionen sehe ich die unheilige Allianz zwischen den biopsychologischen Anlagen zur Bevorzugung des Kurzzeitvorteils mit dem „fraktalen Nepotismus“: Weltweit sind den Leuten Verwandte und Freunde näher als die Dorfgemeinschaft, die ist ihnen näher als die staatliche Volks- oder Verfassungsgemeinschaft, und diese liegt ihnen wiederum näher als „die Menschheit“. Hinreichend wissenschaftlich belegt ist auch die Präferenz unseres Gehirns, eher mit Gleichartigen denn mit Fremden mitzufühlen oder zusammenzuarbeiten.

Andererseits liegt den Menschen aber auch der „altruistische Impuls“ im Sinne von Frans de Waal im Blut, also das spontane Zu-Hilfe-Eilen ohne Nachdenken und Ansicht der Person. Es hängt eben von sehr vielen Faktoren ab, ob wir auf das Fremde mit Interesse zugehen oder es ablehnen, fürchten: Traditionen, Bildung, Erfahrung, Persönlichkeit, Alter, Geschlecht, soziale Einbettung, Hormone etc.?

Diese enorm komplexen Ursachen für Einstellungen und Handeln lassen trotz der angeführten Beispiele hoffen, dass wir das Werkl doch noch in Richtung nachhaltiger Zukunftsfähigkeit drehen können. Der globale Schlüsselfaktor dazu bleibt die Bildung. So meinte Frederick Wiseman im „Presse“-Interview am 29. 10., die Wahl von Donald Trump sei eine direkte Folge des Versagens des US-Bildungssystems gewesen. Wie wahr! Wer nichts weiß, muss alles glauben und ist leicht manipulierbar. Unbildung begünstigt Untergang: individuell, auf Ebene des Staates und weltweit.

Eine weitere eindringliche Botschaft an unsere Regierungsverhandler!

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2017)

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