Shared Space: Platz ohne Ampeln und Verkehrsschilder

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In Graz gibt es den ersten „Shared Space“-Platz in einer Landeshauptstadt. Sämtliche Verkehrszeichen wurden abmontiert, die Verkehrsteilnehmer sind gleichberechtigt unterwegs.

Graz. Die ersten Fahr- und Gehversuche über den neu gestalteten Sonnenfelsplatz in Graz liefen zögerlich ab: Ein Pkw nähert sich mit Schrittgeschwindigkeit von links, ein Taxi kommt aus einer rechten Seitengasse, bleibt stehen. Mittendrin ein Radfahrer, der quer über die Kreuzung fährt, und am Rand stehen Fußgänger, die die spürbare Unsicherheit der mobilen Verkehrsteilnehmer mit Spannung verfolgen. Gibt's gleich am Eröffnungstag den ersten Crash?

Seit gestern, Dienstag, ist der erste „Shared Space“-Platz in Graz – der zweite in Österreich nach Gleinstätten in der Südsteiermark (Bezirk Leibnitz) – für den Verkehr freigegeben. Bei dem aus Holland stammenden Verkehrskonzept wird auf Ampeln, Schilder und Zebrastreifen verzichtet. „Überreglementierung und Verkehrszeichen raus, Eigenverantwortung und gegenseitige Rücksichtnahme rein“, fasst der Grazer Stadtbaudirektor Bertram Werle das Credo der neuen Freiheit zusammen.

Im Platzbereich, wo aus fünf Richtungen Straßen einmünden, gilt nur die Straßenverkehrsordnung (Rechtsvorrang). Motorisierte Verkehrsteilnehmer sind verpflichtet, ihre Geschwindigkeit den örtlichen Verhältnissen anzupassen – was sie aufgrund der ungewohnt ungeregelten Verkehrssituation auch tatsächlich machen. Fußgänger wiederum haben nicht wie auf einem Schutzweg automatisch Vorrang, dürfen auch nicht „überraschend die Fahrbahn betreten und müssen in angemessener Eile“ (StVO) die Straße überqueren. Mehr Regeln gibt es nicht.

Nicht alle sind damit glücklich. „Da sag ich meinen Enkerln, dass sie nur bei einem Zebrastreifen über die Straße gehen dürfen – und dann das“, ärgert sich ein Passant. Die für Verkehrsagenden zuständige Vizebürgermeisterin Lisa Rücker (Grüne) sieht „Shared Space“ dennoch als Beitrag zur Verkehrssicherheit: „Die Verkehrsteilnehmer kommen durch die angeglichene Geschwindigkeit auf Augenhöhe.“ Internationale Beispiele würden kein Ansteigen der Unfallzahlen zeigen.

Auch in Gleinstätten zieht man nach einem Jahr eine positive Zwischenbilanz. Nach „Gewöhnungseffekten“ (Bürgermeister Gottfried Schober) hat sich die Durchschnittsgeschwindigkeit auf der stark befahrenen Ortsdurchfahrt von 50 auf 42km/h gesenkt. Zudem ist es zu einer wirtschaftlichen Aufwertung gekommen: Ein neues Lebensmittelgeschäft hat sich direkt im Ort angesiedelt. Auch in holländischen Städten würden rund um „Shared Space“-Plätze Geschäfte Umsatzsteigerungen aufweisen.

Auf entsprechende städtebauliche Impulse hofft man auch rund um den Grazer Sonnenfelsplatz. „Wir wollen nicht den Verkehr beschleunigen, sondern einen attraktiven Lebensraum schaffen“, sagt Rücker. Die unmittelbare Nähe zum Campus der Karl-Franzens-Universität biete ausreichend Potenzial. Schon jetzt haben zu Spitzenzeiten pro Stunde 1300 Autos, 1700 Radfahrer und mehr als 3400 Fußgänger den bisher als Kreisverkehr geführten Platz vor der Uni-Mensa passiert.

750.000 Euro wurden in die Neugestaltung der 4000 Quadratmeter großen Fläche investiert. Die die Aufenthaltsräume am Rand von der Fahrbahnfläche optisch trennenden Einfärbungen des Asphalts fielen zwar weniger intensiv aus als angekündigt, dafür werden noch vor dem Winter 40Sitzgelegenheiten rund um den Platz postiert. Auch acht neue Bäume sollen gepflanzt und ein Blindenleitsystem installiert werden.

Shared-Space-Pläne in Österreich

Und das soll erst der Anfang sein. In Graz hat man bereits weitere Plätze, beispielsweise beim Metahofpark in der Nähe des Hauptbahnhofs, als „Shared Space“-würdig im Auge. In Feldkirchen im Süden der steirischen Landeshauptstadt wird bereits an einem „Shared Space“-Abschnitt gebaut. In Velden soll im Herbst kommenden Jahres ein großräumiges „Shared Space“-Projekt umgesetzt werden. Kosten: 1,6 Millionen Euro. Zwei kleinere Projekte sind in Villach in Planung, auch in Oberösterreich gibt es interessierte Gemeinden. Ebenfalls in Diskussion ist eine Einführung in der Maxglaner-Hauptstraße in Salzburg.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2011)

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