"Die Donau war ein Sehnsuchtsort"

Donau Sehnsuchtsort
Donau Sehnsuchtsort(c) Erwin Wodicka wodicka aon.at (Erwin Wodicka)
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Während der Zeit des Eisernen Vorhangs war die Donau in Bratislava eine geschlossene Pforte – und Projektionsfläche für das Fernweh einer ganzen Nation. Nun hilft der Fluss bei der Suche nach Identität.

Bevor die Kommunisten das Sagen hatten, sah es auf dem nunmehr steril gepflasterten Plätzchen anders aus. Damals stand auf dem Fischplatz (Rybné námestie) in Bratislava die Synagoge, die selbst den Zweiten Weltkrieg überlebt hatte. „Schrecklich“, sagt Michal Hvorecký, bevor er erzählt: Als gegen Ende der 1960er-Jahre die „Brücke des slowakischen Nationalaufstandes“ über die Donau geplant und realisiert wurde, sind Teile des alten jüdischen Viertels niedergerissen worden. Mittlerweile ist die Brücke so etwas wie ein Wahrzeichen der slowakischen Hauptstadt. Und die nichtexistente Synagoge wird dekoriert von einer mehrspurigen Autostraße. „Schrecklich“ findet das Hvorecký.

Auf dem Fischplatz weht ein Wind mit eisiger Note, und der Schriftsteller Hvorecký, geboren 1976 in dieser Stadt, muss in Gedanken ein bisschen weiter zurück in der Geschichte, um auch etwas Positives erzählen zu können. Gleich nebenan befindet sich der Martinsdom, wo zwei Jahrhunderte lang die habsburgischen Herrscher gekrönt wurden. In welcher Stadt seien sich Kirche und Synagoge schon so nah gewesen? Das ist Bratislava in Hvoreckýs Augen: klein und paradox, mit einem leisen Hang zur Selbstzerstörung und einer poesielosen Brücke, deren Spitze als sonderbare Zugabe ein Restaurant in UFO-Form schmückt.

Für Hvorecký fügt sich das alles zu einer Stadt zusammen, in der er durchaus gerne lebt. Was auch mit der Donau zu tun hat. Auf dem Fluss hat er zwei Jahre lang als Reiseleiter auf einem Kreuzfahrtschiff gearbeitet: „Eine ziemlich verrückte Erfahrung.“ Seine Erlebnisse hat er in seinem satirischen Roman „Tod auf der Donau“ verarbeitet, der vergangenes Jahr auf Deutsch erschienen ist. Das Buch ist eine Mischung aus Abenteuer und Krimi, zwischendurch sprenkelt der Autor Historisches rund um den Fluss in die Zeilen, im Mittelpunkt aber steht Martin Roy, der sich als Reiseleiter um eine aufgekratzte Horde Amerikaner kümmern muss, die allesamt alt, dick und unsäglich dumm sind. Die Donau bleibt einstweilen nur für die Urlaubsgäste eine entspannte Angelegenheit. Als Kind haben Hvorecký und sein Alter Ego auf dem gut bewachten Fluss die Ausflugsschiffe aus dem Westen schippern sehen, während er für sie undurchlässig blieb. „Die Donau war ein Sehnsuchtsort“, sagt der Autor. Sehnsuchtsort deshalb, weil dasselbe Wasser nur ein paar Kilometer weiter westlich, hinter dem Eisernen Vorhang, durch Wien floss, durch den Westen.

Die Donau als geschlossene Pforte also – oder als ein „verbotener Fluss“, wie es die in Prag lebende Literaturwissenschaftlerin Dáša Beracková ausdrückt. Der Fluss war eine dankbare Projektionsfläche für das Fernweh einer ganzen Nation. Nach der Wende wurde das besonders deutlich, als in den um Identität ringenden Ländern Tschechien und Slowakei etliche Bücher und Essays entstanden, die von der Donau handelten. „Es entstand eine Art Mode“, sagt Beracková, „ein Markt mit Büchern über die Donau, klischeehaften Romanen. Plötzlich war es wichtig, über die Donau zu schreiben.“ In anderen Worten: Die Donau war nicht mehr ein Ort der Sehnsucht, sondern ein Ort der Identität. So, wie andere geografische Merkmale auch: die Tatra, die Moldau, die Stadt Prag. Nun ging es darum, diese Orte ideologiebefreit neu zu interpretieren.

Auf dem Weg dorthin entdeckt die Slowakei die Donau als nunmehr offenes, verbindendes Element zwischen den Donauländern. Vor rund zwei Jahren wurde in Bratislava das Dunajský vedomostný klaster gegründet, eine privat organisierte Drehscheibe, die sich dem Wissensaustausch zwischen den Donauländern widmet. Mittlerweile gehören dem Cluster nicht nur Städte und Kommunen an, sondern auch kirchliche Organisationen, Universitäten und private Unternehmen aus einigen Donauländern. „Wir sehen uns in einer sehr guten Ausgangsposition“, sagt der Direktor Peter Poláček. Schließlich hat die Donau nicht hinter dem Eisernen Vorhang aufgehört zu fließen – und Bratislava, direkt hinter der sensiblen Grenze, habe eine geopolitisch günstige Lage. In der Bucht zwischen Ost und West, sozusagen.

Verbesserter Verkehr.
Der derzeitige Schwerpunkt des Clusters liege auf dem technischen und virtuellen Wissensaustausch zwischen den Donauländern. Wenn beispielsweise die Uni Graz neue Technologien zur Verarbeitung von Beton entwickelt hat, dann könne man dieses Wissen gezielt weitergeben, sagt Poláček. Weiters wolle man sich der Verbesserung des Verkehrs in den betroffenen Ländern widmen und Strategien für die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit entwickeln.

Was aber nicht nur in der Slowakei, sondern auch in anderen Donauländern auffällt, ist der gute Wille, enger zusammenzurücken, aber noch scheinen die (EU-)Grenzen fest verankert zu sein. Wiederum bietet sich die Donau als Beispiel an. Sie bildet nicht nur eine Grenze zu Österreich, sondern auch zu Ungarn, wobei die Beziehung dieser beiden Länder recht labil ist. Im Mittelpunkt steht die größte ethnische Minderheit in der Slowakei, rund eine halbe Million Ungarn, die zwischen den Ländern in parteipolitisches Gezänk geraten. Wenn während eines Fußballspiels der Schlachtruf „Ungarn zurück über die Donau!“ gerufen wird, dann wird deutlich, dass an der integrativen Funktion des Flusses noch gearbeitet werden muss. In einem geringeren Maß gelte das auch für die Beziehung zwischen Österreich und der Slowakei, sagt Hvorecký bei einem Espresso im Café Jules Verne nahe dem Donauufer. Der Twin City Liner, der Katamaran, der seit rund sechs Jahren Wien und Bratislava verbindet, sei zwar eine Erfolgsgeschichte – die Beziehung der beiden Städte blühe aber eher einseitig. Das (touristische) Interesse der Slowaken an Wien sei größer als umgekehrt. Zudem finde kaum ein kultureller Austausch zwischen den beiden Städten statt. Dabei, so Hvorecký, teile man so viel miteinander. Die Donaumonarchie war schließlich kein Fantasiegebilde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2013)

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