Ansturm auf Hotlines: Immer mehr Buben suchen Hilfe

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Immer öfter wenden sich männliche Jugendliche mit ihren Problemen an Beratungshotlines wie "time4friends". Dort will man im kommenden Jahr verstärkt auch junge Migranten erreichen.

Wien. „Ist die Birgit da? Wann hat die Birgit wieder Dienst?“ – „Stammkunden“ nennt Karl Zarhuber jene Jugendlichen, die immer wieder bei der „time4friends“-Hotline anrufen und konkret nach ihrer Lieblingstelefonberaterin fragen. „Da entstehen Freundschaften“, sagt Zarhuber, Generalsekretär des Jugendrotkreuzes, das die Hotline (siehe Infokasten) betreibt, „die aber natürlich eine andere Qualität haben als echte.“ Denn der Kontakt bleibt auf Telefon zu Telefon beschränkt. Und von Jugendlichem zu Jugendlichem: Denn bei „time4friends“ arbeiten – als derzeit einziger Hotline Österreichs – keine Erwachsenen, die 50 von Coaches ausgebildeten Berater sind alle zwischen 15 und 19 Jahre alt.

Im Schnitt werden sie 150-mal im Monat von verzweifelten oder schlicht einsamen Jugendlichen kontaktiert – immer öfter, so Zarhuber, sind die Anrufer männlich, „heuer haben schon um 16 Prozent mehr Buben als Mädchen angerufen“, während das Drüber-reden-Wollen früher klare Mädchensache war. Auch bei der Hotline der Kinder- und Jugendanwaltschaft Wien (Kija) verzeichnet man nicht nur generell mehr Zulauf als früher – auch hier vertrauen immer öfter Buben per Telefon ihre Probleme an.

Eine eindeutige Erklärung dafür haben die Experten nicht. Offenbar, meint Zarhuber, „fällt es den Buben leichter, ihre Probleme mit Unbekannten am Telefon zu besprechen als mit Freunden oder Eltern darüber zu reden“. Denkbar sei auch, dass durch soziale Netzwerke wie Facebook die Jugendlichen zwar „mehr lose Bekanntschaften“ haben, die „Zahl der echten Freundschaften aber sicher nicht gestiegen ist“. Eine gewisse Hemmschwelle sei trotzdem vorhanden, sagt Kinder- und Jugendanwältin Monika Pinterits. „ Buben brauchen länger, bis sie sich jemandem anvertrauen. Die melden sich erst, wenn der Leidensdruck schon sehr hoch ist.“

Ein weiterer Vorteil der Hotlines: Man kann, so man will, anonym bleiben. Und viele wollen. „Die testen uns erst einmal aus, bevor sie sich deklarieren“, sagt Pinterits. Bei der Kija folgt dem Telefonat oft ein persönliches Treffen – oder eine längere Begleitung, etwa bei Gerichtsprozessen. Die Sorgen der Anrufer reichen von „Ich habe etwas gestohlen“ über „Ab welchem Alter kann ich von zu Hause ausziehen?“ bis zu „Mein Vater schlägt mich“. In akuten Fällen oder bei schweren psychischen Problemen leiten die Berater der „Kija“ und „time4friends“ die Anrufer an die Krisenintervention oder die Psychologen von „147 – Rat auf Draht“ weiter. Ab und zu melden sich bei der Kija muslimische Mädchen, die Angst vor einer Zwangsheirat haben.

Um ebendiese Gruppe, Jugendliche mit Migrationshintergrund, will sich „time4friends“ künftig stärker bemühen. Im nächsten Jahr sollen junge Migranten als „Peers“ (wie die Telefonberater heißen) ausgebildet werden, die etwa auf Türkisch beraten können. „Man wird sehen“, so Zarhuber, „ob deren Kultur es ihnen erlaubt, sich an uns wenden.“

Ansturm zu Weihnachten

Jetzt vor Weihnachten, sagt Zarhuber, verzeichnet „time4friends“ übrigens entgegen dem Klischee nicht mehr Anrufer. „Unsere Stoßzeit ist der Schulschluss“, wenn viele Jugendliche Angst vor schlechten Noten haben. Nicht so bei der österreichweiten „Telefonseelsorge“ (142). Um den Heiligen Abend melden sich deutlich mehr Menschen, die sich meist einsam fühlen und einfach nur reden wollen. „Es rufen oft mehr Menschen an, als wir bedienen können“, sagt die Leiterin der Telefonseelsorge Wien, Marlies Matejka. Daher versuchen die Seelsorger, die Gespräche eher kurz zu halten, um möglichst viele Anrufe beantworten zu können. Bei den Erwachsenen sind die meisten Anrufer nach wie vor weiblich. „Die Männer rufen erst an“, sagt Matejka, „wenn es ihnen schon wirklich schlecht geht. Frauen versuchen viel früher, jemanden zu kontaktieren.“

27.000 Gespräche haben die 150 freiwilligen Mitarbeiter der Wiener Telefonseelsorge – die im „normalen“ Leben so unterschiedliche Berufe wie Bankbeamter, Krankenschwester oder Hausfrau haben – heuer schon geführt. Nach den Feiertagen werden es um einige hundert mehr sein.

AUF EINEN BLICK

Folgende Hotlines sind rund um die Uhr und auch während der Feiertage besetzt:

•Telefonseelsorge 142 kostenlos aus ganz Österreich

•147 – Rat auf Draht: Psychologische Telefonberatung für Kinder und Jugendliche ist unter 147 rund um die Uhr und gratis erreichbar

•24-Stunden-Frauennotruf der Stadt Wien unter 01/ 71 71 9

•Wiener Frauenhäuser sind ebenfalls rund um die Uhr unter
05 77 22zu erreichen

•Der psychotherapeutische Dienst ist während der Feiertage von 8 bis 20 Uhr besetzt:0676/ 455 61 90

•times4friends:Telefonberatung des Österreichischen Jugendrotkreuzes von Jugendlichen für Jugendliche, täglich von 18 bis 22 Uhr unter 0800/664 530

•Die Kinder- und Jugendanwaltschaft Wien berät unter 01/70 77 000 Kinder, Jugendliche und Erwachsene, u.a. auch in Rechtsfragen. Mo bis Fr: 9 bis 17 Uhr. Am 24.12. von 9 bis 12 Uhr. Am 25. und 26. 12. nicht besetzt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.12.2009)

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