Ökonomen fordern ein CO2-Konto für jedermann

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oekonomen fordern CO2Konto fuer(c) Dapd (Joerg Sarbach)
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Auch Autofahrer sollen am kritisierten CO2-Handel teilnehmen. Wenn man sein Auto tankt oder die Stromrechnung bezahlt, würden nicht nur Geld, sondern auch CO2-Rechte abgebucht.

Wien. Der europäische Emissionshandel (ETS) ist klinisch tot. So oder so ähnlich fallen die meisten Analysen über den sieben Jahre alten CO2-Handel der EU derzeit aus. Der Grund: Europa hat seinen Unternehmen so viele CO2-Zertifikate geschenkt, dass diese de facto wertlos sind. Statt 30 Euro wie vor wenigen Jahren kostet das Recht, eine Tonne Kohlendioxid in die Luft zu blasen, nur noch 7,50 Euro. Zu wenig, um Unternehmen einen Anreiz zu Innovationen in umweltschonende Technologien zu bieten, sagt das Gros der Beobachter.

Doch eine Runde österreichischer Ökonomen ist angetreten, um das Ansehen des CO2-Handels zu retten: Die Idee funktioniert, schreibt die Initiative ProMarktwirtschaft. Und zwar so gut, dass der Handel mit CO2-Rechten sogar ausgeweitet werden sollte – auf jeden einzelnen Menschen.

Erst Transporter, dann Private

Derzeit sind rund 12.000 Unternehmen in Europa verpflichtet, jede Tonne CO2, die sie ausstoßen, mit einem entsprechenden Zertifikat zu unterlegen. Das größte Sorgenkind der Klimapolitik, der Verkehr, ist aus diesem System bisher weitgehend ausgeklammert. Das soll nicht so bleiben. Immerhin stiegen die CO2-Emissionen des Sektors von 1990 bis 2010 allein in Österreich um 60 Prozent an. In einem ersten Schritt hat die EU den Flugverkehr in das ETS aufgenommen. Der Güterverkehr sollte schon bald folgen, fordert der Ökonom Thomas Url. In letzter Konsequenz müssten aber alle Bürger am CO2-Handel teilnehmen.

Die Idee: Jeder Österreicher erhält ein bestimmtes Kontingent an CO2-Emissionen. Wenn er sein Auto tankt oder die Stromrechnung bezahlt, würden nicht nur Geld, sondern auch CO2-Rechte abgebucht. Reichen die Zertifikate nicht mehr aus, müsste auch der Private zukaufen. Wer aber sein Auto öfter stehen lasse und stattdessen Rad fahre, könnte seine gesparten Zertifikate verkaufen. Damit die Einnahmen nicht im Budgetloch versickern, müssten im Gegenzug Steuern auf Arbeit gesenkt werden.

900 Mio. überflüssige Zertifikate

Das System wirke auch dann, wenn die Bürger ihre CO2-Rechte kostenlos erhalten, argumentieren die Ökonomen. Denn bei allen Problemen hätten die Erfahrungen mit dem EU-Emissionshandel eines gezeigt: Mit der Einführung der Zertifikate stieg das Bewusstsein der Unternehmen für das Thema stark an. Und zwar auch dann, als sie anfangs kostenlos zugeteilt wurden.

Der deutsche Energieexperte Marc Oliver Bettzüge sieht das anders: „Niemand in der EU nimmt den CO2-Handel ernst“, sagt der Direktor des Energiewirtschaftlichen Instituts in Köln. Im Vorjahr waren 900 Millionen Emissionszertifikate zu viel auf dem Markt, die den Preis drückten. Die Zertifikate müssten rasch und radikal verknappt werden, fordert Bettzüge.

Die Schwachstellen des Systems sind auch der EU nicht verborgen geblieben. In der kommenden Periode, die 2013 startet, soll ein Fünftel der Zertifikate nicht mehr kostenlos verteilt, sondern versteigert werden. Bis 2020 soll dieser Anteil auf 50 Prozent steigen.

Für Url kommt die Verknappung des Angebots nicht zu spät, sondern gerade rechtzeitig. So habe Europas Industrie Zeit gehabt, sich umzustellen, ohne sofort unter Zugzwang zu geraten, in Staaten abzuwandern, die keinen CO2-Handel kennen. Sollte sich in Zukunft herausstellen, dass Europas Unternehmen dennoch einen gravierenden Wettbewerbsnachteil erleiden, kann sich der Ökonom sogar für Schutzzölle erwärmen.

Ganz friktionsfrei dürfte das aber nicht ablaufen. Die anderen Staaten sind jetzt schon nicht begeistert davon, dass ihre Flugzeuge nur in Europa landen dürfen, wenn sie genug CO2-Zertifikate nachweisen können. Chinas Antwort fiel wenig diplomatisch aus: Gerüchten zufolge überlegt Peking, als Gegenmaßnahme Flugzeuge aus der EU zu beschlagnahmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2012)

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