Der große Traum vom kleinen Reaktor

Der große Traum vom kleinen Reaktor
Der große Traum vom kleinen Reaktor(c) APA/SIGI TISCHLER/KEYSTONE (SIGI TISCHLER/KEYSTONE)
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Eine CO2-freie Energieversorgung steht auch in den USA auf der politischen Agenda. Doch während dieses Ziel in Europa durch den Ausbau von Wind- und Sonnenenergie erreicht werden soll, setzen die Vereinigten Staaten auf Mini-Atomkraftwerke und »saubere Kohle«.

Sie sind klein, leicht transportierbar und flexibel, einzig: Auf dem Markt existieren sie noch nicht. Small Modular Reactors (SMR) sind der leuchtende Hoffnungsschimmer der US-Nuklearindustrie, die mit der Konkurrenz von Schiefergas und den Nachwehen von Fukushima zu kämpfen hat. Der neue Energieminister Ernest Moniz will die Branche mit ihnen neu erstrahlen lassen. Dass die modulare Technik noch einiges von der Marktreife trennt, scheint für den am Massachusetts Institute of Technology ausgebildeten Physiker nebensächlich zu sein. SMR versprechen „attraktive Sicherheitsmerkmale“, so der Minister bei seiner ersten programmatischen Ansprache, die er an der New Yorker Columbia University hielt. „Der erste Reaktor soll 2022 in Betrieb gehen.“ Für nukleare Forschungszyklen ist dies in etwa so bald wie morgen.

Mit 200 Megawatt Nennleistung wird der geplante Prototyp nur rund ein Fünftel so leistungsstark sein wie herkömmliche Reaktoren. Der Reiz von SMR liegt in der Kombination aus Standardisierung und Flexibilität. Mini-Reaktoren könnten vorgefertigt und rasch zusammengesetzt werden. Braucht der Standort mehr Strom, kommt der nächste Block per Zug. Dies bringt vor allem bei einem verteilten Energiesystem, bei dem die Kraftwerke näher an die Verbraucher rücken, Vorteile. Seit den Stromausfällen während des Hurrikans Sandy im Jahr 2012 fördern die USA lokale Stromnetze, die im Notfall unabhängig weiterlaufen können. In dieses System würden die kleinen Reaktoren besser passen als die bisher gebauten großen, zentralen Anlagen.

Zudem konzentrieren SMR weniger radioaktives Material an einem Ort und sind im Notfall leichter kühlbar. So weit die Theorie. Kritiker warnen indes vor hohen Sicherheitskosten. Warnsysteme und Schutzhüllen werden billiger, je größer ein Kraftwerk ist. Obwohl das SMR-Konzept schon seit Jahren im Raum steht, bleibt die Trendumkehr eine Herausforderung.

So wie die Endlagerung von Atommüll. Dazu freilich sagte Moniz wenig. Selten zuvor waren die USA so weit entfernt von der Eröffnung eines zentralen Endlagers. Das Projekt Yucca Mountain in Nevada scheiterte nach Jahrzehnten der Diskussion. Im Norden war da eigentlich nur Steppe, im Südwesten aber liegt Las Vegas. Und Risiko mag man dort lieber im Casino.


Saubere Kohle. Von seinem Vorgänger Steven Chu unterscheidet sich Ernest Moniz auch beim Thema Kohle. Während Chu diese einst als seinen „schlimmsten Albtraum“ bezeichnete, will Moniz mehr „saubere Kohle“ – also Carbon Capture and Storage (CCS). Das Abscheiden und Speichern von Kohlendioxid nach der Kohleverbrennung wird in den USA bereits praktiziert, ist aber teuer. Moniz will sechs Milliarden Dollar locker- und die Technologie damit billiger machen.

Damit zeigt sich der Physiker auch als Stratege. Nach Barack Obamas Vorstoß Richtung Emissionsbeschränkungen für Kraftwerke orteten Republikaner einen „Krieg gegen Kohle“. Ihr mediales Sprachrohr Fox News legte über den Sommer kräftig nach. Moniz stiftet nun Frieden. „Das ist ein Missverständnis. Wir ebnen den Weg, damit Kohle in unserer Zukunft einen essenziellen Platz hat.“ Auch in der EU ist CCS seit einer Direktive der Kommission wieder Thema, der Preisabsturz bei CO2-Zertifikaten machte die Pläne zuletzt aber unwirtschaftlich. Lediglich der norwegische Ölkonzern Statoil betreibt CCS in Nord- und Barentssee. Profitabel sind die Projekte aber nur aufgrund der nationalen CO2-Steuer. In der EU-Roadmap zur Erreichung der Klimaziele bis 2050 ist CCS in aber allen Szenarien eingeplant. Das Szenario „Realität“ sieht aber anders aus.

Moniz' Nähe zur Kohle passt zum jüngsten Trend im US-Elektrizitätssektor: Kohle hat ihren Anteil an der Stromerzeugung zuletzt wieder ausgebaut, weil der Gaspreis im ersten Halbjahr 2013 anstieg. Kohle trägt zwar immer noch weniger zur Stromerzeugung bei als vor dem Schiefergas-Boom, durch den Gas deutlich billiger wurde. Doch das neue Angebot wird von der Nachfrage eingeholt. Energieexperten, darunter Michael Levi vom renommierten US-Thinktank Council on Foreign Relations, zweifeln an der Nachhaltigkeit momentaner Gaspreise, weil viele Firmen unterhalb der Produktionskosten handeln. Auch kratzt der vermehrte Einsatz von Kohlekraftwerken am klimafreundlichen Image des neuen Gasbooms. Bleibt der Kohlestromanteil hoch, wird Schiefergas die Emissionen langfristig weniger stark drücken, als US-Politiker gern behaupten. Gas emittiert bei der Verbrennung rund halb so viel CO2 wie Kohle.


Europa ist anders. Insgesamt wird Moniz die Unterschiede zwischen US- und EU-Energiepolitik akzentuieren. Diesseits des Atlantiks zählen vor allem Akzeptanz in der Bevölkerung und Sicherheit, jenseits bedeutet Sicherheit vornehmlich Versorgungssicherheit. Fracking scheitert in Europa (noch) an regulatorischen Hürden, in den USA sind Umweltfolgen im Hinblick auf Energieunabhängigkeit zweitrangig. Die Wissenschaft ist aber auf der Hut: So berichtete jüngst die National Academy of Sciences von erhöhter Methankonzentration in Trinkwasser nahe Fracking-Bohrlöchern in Pennsylvania. Methan ist nicht toxisch, doch Unsicherheit rund um Umwelteinflüsse ist Gift für die soziale Akzeptanz. Das gilt auch für CCS, eine Technik, die das Risiko von CO2-Austritten birgt.

Dabei protestieren auch Amerikaner gegen Schiefergas. Sie finden jedoch weniger Gehör. Moniz wurde an der Columbia University mehrfach von Fracking-Gegnern unterbrochen. Einmal brachten sie den Minister fast aus dem Konzept. Dann brachten Sicherheitsleute sie aus dem Saal.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2013)

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