Großbritannien forciert Ausbau der Atomenergie

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Warnschild(c) REUTERS (JEAN-PAUL PELISSIER)
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Die britische Regierung will ab 2017 die ersten von elf neuen Reaktoren in Betrieb nehmen und deshalb das Genehmigungsverfahren beschleunigen. Ziel ist es, drohende Engpässe zu verhindern.

London.Um drohenden Versorgungsengpässen zu entkommen und gleichzeitig den Ausstoß von Treibhausgasen zu verringern, setzt Großbritannien mit voller Kraft auf die Atomenergie. In einer Stellungnahme, die in ihrem Enthusiasmus an Zeiten erinnerte, als man noch an eine „strahlende Zukunft“ glaubte, sagte der britische Energieminister, Ed Miliband (Labour), gestern, Montag: „Nuklearenergie ist eine sichere und umweltfreundliche Alternative. Es gibt keinen Hinweis, dass die Ängste der Bevölkerung begründet sind.“

Durch eine radikale Verkürzung des Planungs- und Antragsverfahrens für neue Atomkraftwerke sollen nach dem Willen der britischen Regierung schon 2017 die ersten der insgesamt elf geplanten neuen Kernkraftwerke ans Netz gehen können, die meisten davon an bestehenden Standorten. Dafür wird eine zentrale Behörde geschaffen, die lokalen Bürgerbewegungen weitgehend die Mitspracherechte entzieht. Unter allen Umständen vermeiden möchten die Verantwortlichen ein Debakel wie jenes um den Ausbau des AKW Sizewell, um den sechs Jahre gestritten worden war.

Auch Strom aus Windenergie

Dafür gibt es nun auch kaum mehr Zeit. Bei gleichbleibendem Verbrauch drohen in spätestens acht Jahren erstmals tatsächlich die Lichter auszugehen. Bis 2023 erreichen die meisten britischen Kernkraftwerke das Ende ihrer Laufzeit. Werden mit ihnen derzeit etwa 15Prozent des Stroms des Landes erzeugt, will die Regierung mit den neuen Reaktoren den Anteil bis 2025 auf mindestens 25 Prozent treiben. Bis 2050 erwarten Experten einen Anstieg des Stromverbrauchs im Land um 55Prozent. Zugleich will die Regierung bis dahin die CO2-Emissionen um 80Prozent reduzieren.

Ohne neue Kapazitäten sind beide Ziele unerreichbar. Daher setzt man nun auf „alle umweltfreundlichen Technologien“, wie Miliband betonte. Besondere Hoffnungen setzt man auf Windenergie. Vor der Küste Schottlands soll der größte Windpark der Welt entstehen, mit Windrädern von der Größe eines Jumbojets. Insgesamt will Großbritannien langfristig bis zu einem Drittel seines Stroms aus Windenergie gewinnen.

Allerdings gibt es dabei zwei eng verbundene Probleme: Windenergie hat eine sehr niedrige Ausbeute. Von der Windfarm vor Schottland erhoffen sich die Proponenten nur 30Prozent der Zeit Höchstleistung – und das in der extrem windigen Nordsee. Daher ist Windenergie nur mit enormen Subventionen wettbewerbsfähig. Um den Anteil der Windenergie auf 30Prozent der Stromproduktion zu erhöhen, sind Investitionen von 125 Milliarden Pfund nötig. Um dieses Geld bekommt man 25 Kernkraftwerke.

Zudem verzerren die Subventionen krass den Wettbewerb. Die Kosten werden daher am Ende die Konsumenten tragen.

Kein Interesse an Endlager

„Bis zu 2000 Pfund mehr“ wird die Energierechnung der Briten 2016 betragen, warnt die Aufsichtsbehörde Ofgem. Denn auch die Atomenergie hat ihren Preis: Ist ein Kernreaktor im Betrieb zwar unschlagbar billig, wird er nach der Abschaltung umso teurer. Miliband gab gestern grünes Licht für ein Endlager für radioaktiven Müll. Geplante Kosten: 18 Milliarden Pfund. Und während nach seinen Worten britische Orte sich um neue AKW wegen der Arbeitsplätze geradezu reißen, gibt es für das Endlager vorerst keinen einzigen Interessenten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2009)

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